Neues Deutschland: Imad Mustafa über Muslimbrüder, Hisbollah und Hamas, über den Krieg in Syrien und eine humanitäre Pflicht

Zwischen Geboten und Verboten

Imad Mustafa über Muslimbrüder, Hisbollah und Hamas, über den Krieg in Syrien und eine humanitäre Pflicht

erschienen im Neuen Deutschland am 04.01.2014

Er will aufklären. Die auf Unwissen basierende Sorge im Westen, islamische Parteien und Bewegungen würden arabische Gesellschaften mit der Scharia ins Mittelalter zurückkatapultieren, korrigieren. Der studierte Politologe und Orientalist Imad Mustafa, 1980 in Esslingen (Baden-Württemberg) als Sohn eines palästinensischen Gastarbeiters geboren, weist in seinem Buch »Der Politische Islam. Zwischen Mulimbrüdern, Hamas und Hizbollah« (Promedia, 230 S., br., 17,90 €) nach, dass die meisten islamischen Bewegungen genuin politische Organisationen sind, die sich einer pluralistischen Willensbildung nicht verweigern. Mit Imad Mustafa, dessen Blog »das migrantenstadl« 2013 für den Grimme-Preis nominiert war, sprach Karlen Vesper.

nd: Vor wenigen Tagen hat das Militär in Kairo die Muslimbrüder verboten. War dieses Verbot rechtens?

Mustafa: Nicht alles, was legal zu sein scheint, ist legitim. Das Verbot und die spätere Kriminalisierung der Muslimbruderschaft als »terroristische Organisation« ist eindeutig ein politisch motivierter Akt, mit dem sich die neuen Machthaber am Nil um General al-Sisi die fehlende Legitimität sichern wollen.

Seit ihrem Putsch im Juli 2013 haben sie die Muslimbruderschaft als terroristisch gebrandmarkt und sich selbst als Vorkämpfer gegen den »islamistischen Terror« inszeniert. Dass dieser Vorwurf völlig aus der Luft gegriffen ist, scheint die Anhänger des Militärs aber nicht zu stören. Gleichzeitig versuchen die Militärs mit diesem Schritt, die Muslimbruderschaft als größten innenpolitischen Rivalen um die Macht weiter zu marginalisieren und letztlich auszuschalten. Doch mittel- bis langfristig betrachtet, wird dieses Unternehmen scheitern. Eine breite soziale Bewegung und Partei kann nicht per Gerichtsbeschluss beseitigt werden. Das ist ein Trugschluss.

Wenn die Verfolgung und Unterdrückung von Sympathisanten und Anhängern der Muslimbruderschaft weitergeht, dann könnte sich der Vorwurf des Terrorismus aber als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen.

Die Muslimbruderschaft wurde in den 1920er Jahren als nationale, antikoloniale, aber auch soziale Befreiungsbewegung gegründet.

Hassan al-Banna, der Gründer der Muslimbrüder, war ein sehr frommer Mensch. Die Verwestlichung des städtischen Bürgertums in Ägypten war für ihn Ausdruck von »Nihilismus und Gottlosigkeit«. Er prangerte »Gier, Fleischeslust und Zinswucher«, die »Tyrannei des Materialismus« an, mit dem der Westen arabische Gesellschaften angesteckt habe. Aber sein Antrieb, 1928 die Muslimbrüder zu gründen, war in der Tat die britische Besatzung in Ägypten. Er war entsetzt über die krasse Ungerechtigkeit und Ungleichheit: Die Briten lebten in luxuriösen Villen und das ägyptische Volk in bitterster Armut und musste sich als Tagelöhner verdingen. »Wir waren so verstört, dass wir den Tränen nah waren«, beschreibt er seine Eindrücke über die Not unter der Kolonialmacht. Hassan al-Banna war dabei, als 1919 die Revolte ausbrach, die drei Jahre später zur formalen Unabhängigkeit Ägyptens führen sollte. Für ihn war nicht nur die militärische Okkupation, sondern auch die geistige ein Übel. Dem versuchte er sein Verständnis vom Islam als ganzheitliches System entgegenzustellen, das alle Bereiche des Lebens regelt und der westlichen Ordnung überlegen sei. Es gab also von Anfang einen Identitätsdiskurs gegen westliche Vereinnahmung.

Ähnlich der heutigen Abschottung gegenüber westlichen Werten und Normen?

Jein. Mit seinem Scharia-Verständnis vertrat al-Banna einen liberalen Ansatz, der eine wörtliche Auslegung des Korans ablehnte und vielmehr den Kern des Glaubens – Freiheit und Gleichheit – predigte, um einen Mentalitätswandel für die Erneuerung der Gesellschaft herbeizuführen. Die schnelle Ausbreitung der Muslimbrüder über Ägyptens Grenzen hinaus verdankte sich vor allem ihrer an den Bedürfnissen des Volkes ausgerichteten Aktivitäten, der Einrichtung von Schulen, Krankenhäusern usw. Als al-Banna 1949 ermordet wurde, zählten die Muslimbrüder bereits über eine halbe Million Mitglieder.

Was vereint und unterscheidet, außer dem Gründungsjahr, die Muslimbrüder sowie Hizbollah und Hamas?

Zu den Unterschieden gehört auch deren territoriale Wirksamkeit. Während die Muslimbrüder nicht nur in Ägypten agieren, beschränkte sich bis vor kurzem die Hizbollah auf Libanon und die Hamas, als jüngste der drei Organisationen, auf Gaza und das Westjordanland. Hizbollah und Hamas vertreten einen dezidiert islamischen Ansatz, allerdings relativ liberal, also – im Gegensatz zu den Taliban – ohne Hände abhacken oder das Steinigen von Frauen.

Auslöser für die Geburt der Hizbollah war der Libanonkrieg von 1982.

Sie war damit – ähnlich den Muslimbrüdern – Reaktion auf eine Besetzung, und zwar Libanons durch israelisches Militär, die bereits zweite Invasion, die das Land innerhalb von vier Jahren erlitt. Vor allem das Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila bei Beirut, begangen von mit Israel verbündeten libanesischen Milizen, löste einen Schock und eine Radikalisierung in der schiitischen wie sunnitischen Bevölkerung aus. 1985 trat Hizbollah ins Leben. In ihrem Gründungsdokument, einem »Offenen Brief an die Unterdrückten der Welt«, signalisierte sie einen universellen Anspruch, als Vorkämpferin für die Armen und Ausgebeuteten in aller Welt, und dies auch mittels des Dschihads. Ihr militärisches Operationsgebiet blieb auf Libanon beschränkt – bis zu ihrem Eingreifen 2013 in Syrien. Die Hizbollah versteht sich als Verteidiger gegen den Imperialismus Israels und die USA.

Gleiches gilt für die Hamas?

Ja, und auch sie entstand aus einer Protestbewegung gegen eine Besatzung. 1987 kam es in Gaza zu Massenprotesten gegen die israelische Okkupation, die rasch auf das Westordanland übergriffen und in der ersten Intifada mündeten. Hamas ist ein Kind der Intifada. Aber auch der Muslimbrüder, wobei sie sich von diesen emanzipiert hat. 1976 hatte Scheich Ahmad Yassin, damals ein Führer der Muslimbrüder und späterer Hamas-Mitbegründer ein »Islamisches Zentrum« in Gaza eingerichtet, das eine Moschee, eine Klinik, einen Jugendklub und andere soziale Einrichtungen vereinte. Also auch hier die Ausrichtung auf Wohltätigkeit. Maßgeblich für die Gründung der Hamas war neben den Zumutungen seitens Israels ebenso, dass »die palästinensische Sache« – wie sie 1993 in einem Schlüsseldokument artikulierte – »auf der Prioritätenliste der arabischen Staaten auf die unterste Stufe gerutscht« sei.

Auch Hamas vertrat eine liberalistische Interpretation des Koran; eine strengere hätte nicht der palästinensischen Gesellschaft Mitte der 1990er Jahre entsprochen, als Hamas groß geworden ist. Die palästinensische Gesellschaft war damals eine der liberalsten Gesellschaften der arabischen Welt. Die Frauenerwerbsquote war enorm, der Bildungsstand von Frauen prozentual viel höher als anderswo. Es gab dann aber einen Regress, eine stärkere fundamentalistisch-islamistische Ausrichtung. Das muss man so sagen, obwohl ich dieses Wort nicht gern gebrauche.

Warum scheuen Sie die Bezeichnungen »islamistisch« und »fundamentalistisch«?

Wegen dessen inflationärer, vielfach pauschaler und fälschlicher Verwendung.

Hat dieser »Regress« etwas mit dem globalen Triumph des Neoliberalismus Ende des 20., Anfang der 21. Jahrhunderts zu tun?

Durchaus. Das trifft zwar auf Palästina nicht unbedingt zu, weil die ökonomischen Verhältnisse dort auf Grund der israelischen Besatzung natürlich andere sind. Aber auf Ägypten unter Mubarak traf dies voll zu. Mubaraks neoliberale Politik, die Öffnung der ägyptischen Märkte und der totale Ausverkauf des Landes haben Empörung geschürt, im säkularen wie religiösen Lager. Nur eine ganz kleine Schicht der politischen und wirtschaftlichen Elite hat unter Mubarak profitiert, die Mehrheit der Bevölkerung verarmte immer mehr.

Zum Aufstieg der Hamas haben verschiedene Faktoren beigetragen, darunter auch die Schwäche oder vermeintliche Schwäche der PLO. Die Situation hat sich für das palästinensische Volk nach Unterzeichnung des Vertrages von Oslo 1993 nicht verbessert. Der israelische Siedlungsbau wurde massiv ausgeweitet, die Sicherheitslage ist immer noch desaströs für die Palästinenser. Es sterben tagtäglich Menschen, die Besatzung ist tagtäglich schmerzhaft spürbar.

Die PLO-Führung schien in den Augen des leidenden palästinensischen Volkes kapituliert zu haben?

Sie hat sich mit den Verhältnissen arrangiert, hat einen Teil Macht erhalten in Form der Autonomiebehörde. Arafat durfte 1994 wieder nach Gaza und Jericho einreisen. Das erschien einigen PLO-Führern wohl ausreichend. In den Augen der Hamas haben sie sich zu Komplizen Israels gemacht, sich gemütlich eingerichtet. Sie hinterließen damit ein Vakuum, das nun Hamas ausfüllte. Deren Führer beschuldigten die der PLO Landesverräter zu sein, nationale Rechte aufgegeben zu haben, ohne etwas dafür zurückzubekommen. Mit dieser Argumentation stieß die Hamas im palästinensischen Volk auf fruchtbaren Boden.

Wie hält es die Hamas mit dem Existenzrecht Israels? Man hört und liest Widersprüchliches.

In der Gründungscharta der Hamas von 1988 stehen Sätze drin, die ihr bis heute um die Ohren gehauen werden, zum Beispiel: »Wir wollen das ganze historische Palästina befreien.« Also auch Israel. Damals waren von der Hamas schlimme antisemitische Töne zu hören, es wurden die »Protokolle der Weisen von Zion« zitiert und Verschwörungstheorien aufgetischt usw. Inzwischen erfolgte ein Wandel in der Rhetorik und auch in der politischen Haltung. Man wird zwar auch heute in keinem Hamas-Dokument explizit lesen: »Wir anerkennen den Staat Israel.« Oder: »Wir erkennen die Zwei-Staaten-Lösung an.« Ideologische Fesseln und Buhlen um Anhängerschaft verhindern, dies offen zu bekennen. Aber Hamas ist eine sehr pragmatische Organisation, der bewusst ist, dass die totale Ablehnung und Verweigerung des Existenzrechts von Israel nicht mehr haltbar ist. Antijüdische Ressentiments sind auf den palästinensisch-israelischen Konflikt zurückzuführen, einer jahrzehntelangen traumatischen Erfahrung von Niederlagen, Diskriminierungen und Ohmacht.

Chaled Maschal, Politbürochef der Hamas, der bis 2011 in Damaskus lebte und jetzt in Katar lebt, kritisierte in einem Interview mit der »New York Times«, dass Hamas der berüchtigte Satz aus der Charta von 1988 immer noch vorgehalten werde, statt auf das zu schauen, was man gegenwärtig tut.

Die israelische Regierung führt Gespräche mit Hamas, die natürlich öffentlich geleugnet werden.

Ganz klar, Tel Aviv muss mit Hamas reden, Etwa wenn es um die Aushandlung eines Waffenstillstands geht, oder als die Hamas den israelischen Soldaten Gilad Shalit gefangen genommen hatte. Man suggeriert zwar der Öffentlichkeit: »Nein, wir reden nicht mit Terroristen.« Aber man hat auch mit der PLO verhandelt, als sie noch der Erzfeind war und Arafat als der »Terrorist« schlechthin galt. Das ist nur Show, das darf man nicht so ernst nehmen.

Schon vor zehn Jahren gab es interne Diskussionen innerhalb der Hamas: Wie machen wir jetzt weiter, um politischer Akteur in Palästina zu bleiben und nicht marginalisiert zu werden? Sie hat bisherige rote Linien aufgegeben. Oslo lehnt sie zwar weiterhin ab, aber nicht, weil sie gegen den Frieden ist, sondern weil sie in dem Vertragsabschluss keinen gleichberechtigten Frieden erkennt, sondern nur einen Waffenstillstand zwischen Herr und Knecht.

Wäre es vorstellbar, dass Gaza sich vom palästinensischen Staat, so dieser mal ins Leben tritt, abspaltet?

Nein, das glaube ich nicht. Es gibt eine tiefe Kluft zwischen Hamas und PLO, zwischen Gaza und Westjordanland. Es gibt persönliche Animositäten. Es toben auch erbitterte Auseinandersetzungen innerhalb der PLO, die ja ein Dachverband ist, zwischen Nationalen und dezidiert Linken, allesamt Säkulare, die nichts mit der Hamas zu tun haben wollen.

Wie jetzt auch in Ägypten ist die Situation in Palästina sehr verfahren. Es gibt keinen anderen Ausweg, als dass alle Parteien in einen Dialog treten. Saudi-Arabien hat dies vor ein paar Jahren mit dem Mekka-Abkommen, einem Versöhnungsabkommen zwischen Hamas und PLO, versucht. Aber die Spaltung ist immer noch vorhanden.

Der grandiose Wahlsieg der Hamas 2006 in Gaza mit über 60 Prozent der Stimmen …

… kam für diese selbst völlig überraschend. Sie wollten eigentlich gar nicht die Macht, zumindest diese nicht alleine ausüben. Hamas hat die PLO regelrecht angefleht, eine Koalitionsregierung zu bilden. Die PLO-Führer zierten sich lange. Sie spekulierten darauf, dass die Hamas an der Regierung sich blamieren würde. Nach Monaten wurde dann doch eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet, die allerdings 2007 schon wieder zerbrach, als bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien in Gaza ausbrachen.

Es wird immer wieder kolportiert, das sei ein Putsch der Hamas gewesen. Dabei ist diese nur der PLO zuvorgekommen. Die CIA hatte, wie der investigative US-amerikanische Journalist David Rose in »Vanity Fair« später aufdeckte, eine bestimmte Fraktion in der PLO heimlich aufgerüstet, um die Hochburg der Hamas in Gaza zu brechen. Die Hamas hat Wind davon bekommen und präventiv gehandelt. Nach ein paar Wochen Schusswechsel war die Machtfrage in Gaza zugunsten der Hamas entschieden.

Was unterscheidet die Muslimbrüder von den Salafisten. Die salafistische al-Nur-Partei ging aus den letzten Wahlen in Ägypten als zweitstärkste Partei hervor; sie befürwortete den Sturz von Mohammed Mursi und ist an der von den Militärs eingesetzten zivilen Übergangsregierung beteiligt.

Sie zeigt Interesse, politische Veranwortung zu übernehmen.

Die Salafisten unterscheidet von den Muslimbrüdern die wörtliche Auslegung von Koran und Hadith, also der Sammlung von Erlebnissen, Gesprächen und Reden des Propheten Mohhammed. Die Salafisten wollen zu einem sogenannten ursprünglichen Islam zurückkehren. Die Gesellschaft habe sich den Geboten und Verboten der Scharia zu unterwerfen, so wie sie im Koran fixiert und von den frühen Rechtsgelehrten interpretiert wurde.

Sie erwähnten, dass Hizbollah in den Syrienkrieg involviert ist. Was bedeutet dieser Krieg für die Bildung eines souveränen palästinensischen Staates? Einen Rückschlag? Die Palästinenser in Syrien streiten für Assad.

Zum Teil. Auch dort ist das palästinensische Lager gespalten. Viele Palästinenser in Syrien leben immer noch in Flüchtlingslagern, die zwar mittlerweile befestigte Stadtteile sind, aber eben doch nicht die Heimat. In diesen »Flüchtlingslagern« sind die PLO und Hamas sowie linke, säkulare Gruppierungen aktiv. Alle sind bewaffnet und haben ihre eigenen Interessen. Hamas hat sich ziemlich schlau aus der Affäre gezogen, ist nicht auf Konfrontation zu Assad gegangen, hat sich aber nach Katar zurückgezogen und unterstützt im Prinzip den Aufstand gegen ihn. Linke Gruppierungen in der PLO wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas, die seit eh und je in Syrien präsent sind, kämpfen für Assad. Und auch die Hizbollah-Milizen unterstützen ihn.

Was für Auswirkungen hat der Syrienkrieg auf Palästina? Damaskus argumentierte stets, dass man sich so lange im Kriegszustand mit Israel sieht, bis die Palästinenser-Frage gelöst ist. In Wahrheit hat die syrische Regierung die Palästinenser immer nur als Faustpfand benutzt, als Verhandlungsmasse, um Israel zu irgendwelchen Konzessionen zu bewegen. Das hat in der Tat nie wirklich funktioniert, vielleicht noch in den 1970er Jahren, aber später nicht mehr. Die Beteuerungen aus Damaskus, man stünde »unseren palästinensischen Brüdern« bei, verkam zu einer Floskel, war nur noch Propaganda, ähnlich wie in anderen arabischen Staaten.

Werden in Syrien Islamisten an die Macht gelangen und einen Gottesstaat errichten? Oder wird der Staat in mehrere Staaten zerfallen?

Man weiß nicht, wer in Damaskus an die Macht gelangt. Syrien triftet ins Nirgendwo.

Praktisch ist Syrien schon zerfallen – politisch, nicht territorial. Das Assad-Regime hat noch Einflusssphären, vor allem im Zentrum und an der Küste. Der Staat funktioniert noch in einer gewissen Weise.

In Aleppo allein gibt es aber über 200 verschiedene Milizen, im ganzen Land 1000 bis 1500. Es hat sich mittlerweile eine Kriegsökonomie ausgebreitet, von der einige sehr gut profitieren.

Und damit an Krieg als Dauerzustand interessiert sind?

Ja, es haben sich mafiöse Strukturen herausgebildet. Es geht um die Kontrolle der Ölfelder oder auch ganz banal um Macht über Menschen. Sogenannte Rebellen kämpfen gegen andere sogenannte Rebellen. Die Nusra-Front und al-Quaida-Gruppierungen sind sehr kampfstark. Aber ich glaube nicht, dass sie das ganze Land unter Kontrolle kriegen. Der Krieg wird sich höchstwahrscheinlich noch über Jahre hinziehen.

Und weitere syrische Flüchtlinge werden in ihrer Not Europa und Deutschland um Aufnahme bitten.

Das ist anzunehmen. Es ist wirklich zynisch, wie die deutsche Regierung mit der Not der Flüchtlinge umgeht. Syrer mit Bildungshintergrund würde man gerne aufnehmen, weil sie sich leichter integrieren. Sie gelten als wertvolles Humankapital, aber die anderen nicht. Das ist unwürdig – ziemt sich nicht für ein angeblich zivilisiertes Land. Und so kann man nicht mit verzweifelten Menschen aus einem zivilisierten Land umgehen…

… das zudem auf eine um Tausende Jahre ältere Zivilisation als Deutschland stolz sein kann. Syrien erlebte schon im 3. Jahrtausend v.u.Z. eine Hochkultur.

Jordanien, ein ökonomisch schwaches Land, hat bereits knapp 500 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Libanons Bevölkerung ist um 25 Prozent angewachsen. Und im ökonomisch starken, wohlhabenden Deutschland diskutiert man, wie viele Flüchtlinge man »verkraften« könne. Ganz anders die Schweden. Sie gewähren allen syrischen Flüchtlingen unbegrenzten Aufenthalt. Vor einem Krieg flüchtenden Menschen zu helfen, ist eine humanitäre Pflicht.

 

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