Bernd Winkelmann: Kirchliche Soldatenseelsorge versus Militärseelsorge.

Eine friedensethische Erinnerung

Worum es geht

Die Kirche ist heute gegenüber dem Militärischen vor allem in drei Bereichen zu einer klaren friedensethische Positionierung herausgefordert: im praktizierten Einsatz der Bundeswehr im Ausland, im geforderten Einsatz der Bundeswehr im Inland, im Waffenexport, in dem Deutschland weltweit den dritten Platz einnimmt und die Wirtschaft auch in Krisenländern ihre Geschäfte macht.

Wenn die Kirche ihr „Wächteramt“ in der Gesellschaft wahrnehmen will, hätte sie in allen drei Fällen einen deutlichen friedensethischen Einspruch zu erheben. So sollte sie das Friedensgebot der Verfassung in Artikel 26 einklagen: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenwirken der Völker zu stören, sind verfassungswidrig […]. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Sie könnte die Erkenntnisse der Friedensforschung propagieren, dass mit militärischen Mitteln nicht die Ursachen der Kriege, und nicht die Ursachen der neuartigen Terrors überwunden, sondern eher angeheizt werden. Und schließlich sollte die Kirche von der Bibel her eine friedenspolitische Alternative aufzeigen: die Chancen der gewaltlosen Friedenssicherung, eine Verständigungs, Abrüstungs und Versöhnungspolitik und den Mut zu entsprechenden Vorleistungen.

Warum kommt die Kirche diesem Auftrag heute nur in ihren progressiven Randgruppen, kaum aber in ihren offiziellen Positionierungen nach? Wohl darum, weil sie in einem Freundschaftsverhältnis mit Staat und Wirtschaft („Freundschaftsklausel“) leben will, nicht aber in einer kritischen Distanz. Hier erlebt sie einen „Anpassungsdruck“ (Heino Falcke) und kann darin mindestens latent ihre Unabhängigkeit und Freiheit verlieren. Dies zeigt sich exemplarisch im Militärseelsorgevertrag, in dessen Geschichte und Praxis. Darum die folgende Erinnerung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“, in dem die Kirche ihre Mitschuld an den Verbrechen der Kriege aussprach. In der Gründungsversammlung des Weltkirchenrates in Amsterdam 1948 und in der Weißenseer Synode von 1950 wurde Krieg zur Lösung internationaler Konflikte als „Sünde wider Gott“ bezeichnet und jeder neuen Aufrüstung eine Absage erteilt. Doch kam es zur Blockbildung OstWest, zur Bündnisbindung der beiden deutschen Staaten und dem Hochschaukeln des „Kalten Krieges.“ 1955 wurde die Bundeswehr installiert, 1956 die Volksarmee in der DDR. In der Bundesrepublik wurde 1957 zwischen der Regierung und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) der Militärseelsorgevertrag geschlossen. Seine Kernpunkte: Pfarrer werden als Militärseelsorger innerhalb der Bundeswehr „Beamte auf Zeit“; sie werden von der Bundesregierung berufen, die geistliche Dienstaufsicht liegt bei den Kirchen. Das evangelische Kirchenamt der Bundeswehr wird dem Verteidigungsministerium zugeordnet. Der Militärbischof wird von der Kirche in Absprache mit der Bundesregierung ernannt. Die Pfarrer haben die Soldaten und ihre Einsätze seelsorgerlich zu begleiten, vor allem durch den „lebenskundlichen Unterricht“ die „Innere Führung“ der Bundeswehr zu stärken. Sämtliche Gehälter und sonstigen Kosten der Militärseelsorge werden durch den Staat getragen.

Ganz anders die Entwicklung in der DDR. Hier wurde 1962 die Wehpflicht eingeführt. Unter den Christen der Jungen Gemeinde und den Theologiestundeten gab es sofort und erstaunlich viele Wehrdienstverweigerer (einige Hundert). Es gab vor allem drei Begründungen der Wehrdienstverweigerer: totaler Pazifismus, politischer Pazifismus: in einer Welt mit Massenvernichtungswaffen gibt es keinen „gerechten Krieg“, die Ablehnung des bedingungslosen Gehorsams im Fahneneid.

Der Staat reagierte äußerst gereizt und unsicher: massive Drohungen, berufliche Degradierung, Verhaftung und Verurteilungen einiger (meist zwei Jahre Gefängnis), aber auch Nichteinberufung der Verweigerer, um zu viele Prozesse zu vermeiden (zu den Letzten gehörte ich selbst). Die Kirchenleitungen riefen unter Namensnennung zur Fürbitte für die Inhaftierten in den Gemeinden auf. Sowohl die Wehrdienstverweigerer wie die Kirchenleitungen forderten einen „zivilen Ersatzdienst.“

Um eine eskalierende Auseinandersetzung zu vermeiden, gab der Staat diesem Drängen in erstaunlicher Weise nach. Er richtete einzigartig im Ostblock die „Baueinheiten“ ein. In ihm sollten Menschen, die den Dienst mit der Waffe ablehnen, innerhalb der Volksarmee einen waffenlosen Dienst tun, z.B. Einsatz bei Bauarbeiten, auch für militärische Einrichtungen. Von den Totalverweigerern wurde dieser Einsatz abgelehnt, sie mussten fast immer eine Haftstrafe absitzen.

Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR setzte schon 1965 unter Leitung von Heino Falcke eine Kommission mit dem Auftrag ein, unter der Überschrift „Zum Friedensdienst der Kirchen“ eine „Handreichung für die die Seelsorge an Wehrpflichtigen“ zu erarbeiten. Ihre wichtigsten Inhalte: von der prophetischen Schalomansage des Alten Testamentes und vom Friedensgebot der Bergpredigt ausgehend eine ausführliche und sehr konkrete theologische Begründung des Friedenauftrages der Kirche. Dieser Auftrag könne nur in Unabhängigkeit und Freiheit und in einer „kritischen Solidarität“ gegenüber dem Saat wahrgenommen werden. Wehrdienstverweigerung sollte nicht individualistisch verengt, sondern im friedenspolitischen Sinne verstanden werden. Die Kirche solle sich seelsorgerlich gleichgewichtig für Soldaten, die ihren Dienst tun, wie für Verdienstverweigerer einsetzen. Doch schon damals wurde formuliert: Wehrdienstverweigerer geben „ein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Friedensgebotes unseres Herrn.“ Und die aktiv Dienenden sollten sich prüfen, ob ihr Dienst mit dem Friedensgeist Jesu zu vereinbaren sei. In der berühmten Verlautbarung der BundesSynode der DDRKirchen von 1987 „Bekennen in der Friedensfrage“ wurde dies noch einmal hervorgehoben und mit der „Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung“ der westlichen und östlichen Wettrüstungs und Abschreckungspolitik eine pointierte Absage erteilt.

Die Soldatenseelsorge und Begleitung der Wehrdienstverweigerer verstand sich als ein Teil der christlichen Friedensbewegung in der DDR. Ihre Leitsätze waren „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein;“ „Frieden schaffen ohne Waffen“, „Schwerter zu Flugscharen“ (Micha 4,3).

Die praktische Gestaltung der Soldatenseelsorge lag allein bei der Kirche und wurde von Pfarrern und Gemeinden wahrgenommen, in denen Standorte der Armee sind bzw. an die sich Soldaten oder Wehrdienstverweigerer wenden.

Der Staat tolerierte diese Seelsorge, d.h. Soldaten konnten sich zum Gottesdienstbesuch oder zum Aufsuchen eines Pfarrers in der Kaserne abmelden. Zutritt eines Seelsorgers in die Kaserne wurde verweigert. Neben der Toleranz gab es Schikanen und Erniedrigungen. Das Einsatz der Kirchenleitungen, die bei größeren Beschwernissen bei staatlichen Stellen Einspruch erhoben.

Das vergebliche Ringen um einen neuen Seelsorgevertrag

Mit dem Anschluss Ostdeutschlands an die Bundesrepublik kam es sofort zu einer Debatte um den Militärseelsorgevertrag, denn die Ostdeutschen Kirchen weigerten sich, diesen zu übernehmen. Kritikpunkt war vor allem die zu große Staatsnähe der Kirche in diesem Vertrag und somit ein zu geringer Freiraum, dem Militärischen mit einer kritischen Friedenspolitik zu begegnen. Die ostdeutschen Kirchen forderten eine entsprechende Reform des Militärseelsorgevertrages. Bundeskanzler Kohl lehnt dies vehement ab. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen in den Synoden der EKD. Ich erlebte als stellvertretender Synodale, wie bei der EKDSynode 1995 in Friedrichshafen westdeutsche Synodale verständnislos und mit heftiger Polemik gegen die Voten der ostdeutschen Vertreter auftraten. 1996 wurde eine Übergangsregelung verabschiedet: die „Rahmenvereinbarung über die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr im Bereich der neuen Bundesländer.“ Hier sollten in den ostdeutschen Kirchen die Seelsorger Kirchenbeamte, nicht Beamte des Staates sein und die praktische Seelsorge sollte von den Landeskirchen verantwortet werden. Diese Sonderregelung wurde 2002 aufgehoben. Alternativvorschläge des DietrichBonhoefferVereins und des Christlichen Versöhnungsbundes wurden in der entscheidenden EKD-Synode den Synodalen noch nicht einmal zur Kenntnis gegeben.

Fazit

Die Geschichte der Soldatenseelsorge und des Militärseelsorgevertrages zeigt exemplarisch, dass eine Kirche, die vor allem ein Freundschaftsverhältnis mit gesellschaftlichen Machtträgern pflegen will, einem „Anpassungsdruck“ erliegt, die ihr Wesen verdunkelt. Eine Kirche, die nicht mehr den „KrisisCharakter“ der Biblischen Botschaft in die KrisenEntwicklungen der Welt einzubringen wagt, gleicht dem kraftlosen Salz, von dem Jesus sagt, dass es „weggeworfen und von den Leuten zertreten wird“ (Mt.5, 13).

Eine Kirche hingegen, die in einem kritischen Gegenüber zum Staat lebt, kann eine wesentlich größere innere Freiheit im Bezeugen der biblischen Friedensbotschaft realisieren. In dem sich heute wieder neu formierendem Blockdenken, in der neuen Militarisierung der Konfliktbewältigung, in der Verdrängung der Ursachen-Gerechtigkeitsfrage, in der Ausbreitung eines neuen Nationalismus würde eine Kirche, die in politischer Eindeutigkeit die vom Evangelium gebotenen Voten einbringt, wieder zu ihrem eigentlichen Wesen zurückfinden. Eine unabhängige Soldatenseelsorge könnte hier eine exemplarische Konkretion sein.

Bernd Winkelmann, ev. Pfarrer a.D., war Mitglied der Friedens- und Umweltbewegung in der DDR

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