Katja Strobel: Religion und Gesellschaft – aktuelle Debatten innerhalb der LINKEN aus feministischer Perspektive.

Ein Kommentar

Der Antrag „Liberté, Egalité, Laicité“ des Landesvorstands der sächsischen LINKEN ist nur ein Beispiel für weit verbreitete undifferenzierte ‚linke‘ Religions und Kirchenkritik. Auch feministische Argumentationen folgen oft diesem Muster. Im Folgenden ein paar Aspekte aus feministischbefreiungstheologischer Sicht dazu.

Feministische Bewegungen, international gesehen, sind häufig antiklerikal eingestellt – aus gutem Grund. Viele als Frauen Sozialisierte haben beispielsweise im Namen des Christentums eine konservative, verklemmte, körper und frauenfeindliche Moral beigebracht bekommen, inklusive Gewissensbissen aufgrund von Masturbation, Empfängnisverhütung oder einfach nur der Lust an Sexualität jenseits von Heterosexualität, Ehe und Fortpflanzung. Zur ‚traditionellen‘ christlichen Sozialisation gehören auch klassisch heteronormative, patriarchale Geschlechterrollenbilder und die Botschaft, dass einen Beruf zu erlernen, eine Familie zu gründen und sich der modernkapitalistischen Gesellschaft anzupassen das sei, was Gott von jeder und jedem erwarte.

Nicht wenige haben sich erst als Erwachsene, auch mit Hilfe der Frauenbewegungen, mühsam von diesen Prägungen befreit. Sie meiden seitdem alles, was nach Kirche oder Christentum aussieht.

Hinzu kommt: Fast alle Kirchen zeigen sich in Deutschland in der Öffentlichkeit und in den Medien als höchst angepasst an die kapitalistische Gesellschaft, in der sie von den Konkordaten, den engen Verflechtungen mit dem Staat in Bezug auf Arbeitsrecht, Finanzierung von Arbeitsstellen und Kirchensteuer profitieren. Sie nehmen sich das Recht auf arbeitsrechtliche Sonderstellungen und auf die Bekämpfung gewerkschaftlicher Initiativen. In Pfarrgemeinden drückt sich diese Anpassung unter anderem in den Prioritäten auf ökonomischeffiziente Strukturen aus. Dies sehen wir zum Beispiel daran, dass Gemeinden zusammengelegt werden und eine „VersorgungsMentalität“ gefördert wird, anstatt sich für theologische Fragen und Aufgaben aus der sozialen, kulturellen, ökonomischen Situation der Gemeindemitglieder und des Ortsteils heraus zu interessieren. Aus innerkirchlicher Perspektive ist es deshalb schon kaum mehr erträglich, wie treu viele Frauen dennoch ihren Gemeinden anhängen und dort mit sogenannter ehrenamtlicher, sprich unbezahlter, Arbeit die Strukturen am Laufen halten, während sie gleichzeitig unter den ökonomisierten und auch oft immer noch patriarchalen, frauen und Homosexualitätsfeindlichen und diskriminierenden Amts wie Arbeitsstrukturen leiden. Leider führt dies eher zu Frustration, Resignation und stillen Abschieden als zu Protest, Widerstand und dem Organisieren alternativer Strukturen.

Wenn nun allerdings, wie im Antrag des sächsischen Landesvorstands der LINKEN, im Namen der Emanzipation ein Laizismus gefordert wird, sollte mensch genau hinsehen.

Zunächst ist der Antrag aus der Perspektive der mehrheitlich religionslosen, atheistischen oder agnostischen Gesellschaft in den ostdeutschen Bundesländern geschrieben – aus dieser Perspektive ist viel Unverständnis für kirchliche Strukturen nachzuvollziehen, aber für eine bundesweite Regelung reicht diese Perspektive eben nicht aus. Zudem kommt es auch in Ostdeutschland vor, dass kirchliche Strukturen und Personen manches Mal Orientierung vermitteln, die aus einer linken Perspektive notwendig sind, zum Beispiel in Bezug auf die Themen Migration, Flüchtlinge oder im Kampf gegen Rechtsextremismus.

Eine linke Partei sollte sich gut überlegen, was sie beispielsweise zum Thema Religionsunterricht fordert: Sollen in Sonntags oder FreitagsSchulen in Kirchen und MoscheeGemeinden die Inhalte von Glaubensvermittlung allein von den Kirchen und Verbänden bestimmt werden? Oder möchte sich ein Staat, eine Gesellschaft nicht vielmehr vorbehalten, sowohl Religionskunde und Ethik als wichtige Aspekte des Zusammenlebens zu vermitteln als auch ein gewisses Maß an Sichtbarkeit und Auseinandersetzung über religiöser Glaubensvermittlung an den Schulen zu belassen?

Befremdlich für eine linke Perspektive ist meines Erachtens vor allem die plötzliche Verteidigung des real existierenden kapitalistischen Staates als des Garanten von Demokratie und Gleichberechtigung, wenn es um die Zurückdrängung der Kirchen geht. Weiterhin zeigt sich ein extrem individualisiertes Verständnis von Freiheit, eben auch der Religionsfreiheit. Ein Beispiel dafür ist die Forderung im sächsischen Antrag, die GefängnisSeelsorge durch psychologische Betreuung zu ersetzen. Die Arbeit von GefängnisSeelsorgerinnen und seelsorgern besteht nicht allein aus individuellen GesprächsAngeboten, die durch umfassendere psychologische Beratung evtl. ersetzt werden könnten. Seelsorge bedeutet viel mehr, unter anderem auch Angebote und Veranstaltungen, die gemeinschaftlich stattfinden und die eine Unterbrechung des GefängnisAlltags darstellen. Ohne sagen zu wollen, dass dies allein schon emanzipatorisch sei, hat es doch emanzipatorisches Potential, ganz abgesehen von der Schweigepflicht und Unabhängigkeit vom staatlichen Justizvollzug, die für Psychologinnen und Psychologen erst einmal diskutiert werden müsste. Diese Aspekte betreffen auch den Religionsunterricht etwa sogenannte „Tage religiöser Orientierung“ für Schulklassen, die sehr oft die Klassengemeinschaft und politische Themen behandeln, und andere Angebote an Schulen und weiteren Institutionen.

Der (meist vermischt daher kommenden) Kirchen und Religionskritik aus ‚linker‘ Perspektive liegt oft ein sehr individualistisches Verständnis von Religion, zugrunde, im Sinne von „Religion ist Privatsache“. Emanzipatorische Strömungen im Christentum wie Befreiungstheologie oder feministische Ansätze haben aber gerade gegen diese Privatisierung von Religion gekämpft und tun dies auch heute. Gerade diese alternativen Ansätze außerhalb der großen Kirchen gilt es für eine linke Partei wahrzunehmen.

Auch in den großen Kirchen besteht keineswegs ein einheitliches Bild in Bezug auf die politische Dimension von Kirchen und Religion. Einerseits reden sich vor allem auch einzelne Pfarrerinnen und Geistliche im Gespräch über politische Einmischungen gern damit heraus, dass der Glaube nichts mit Politik zu tun habe oder doch zumindest alle politischen Einstellungen innerhalb einer Gemeinde respektiert werden müssten. Andererseits sind beispielsweise die christlichen Kirchen keineswegs unpolitische Akteurinnen, sondern verfassen regelmäßig Stellungnahmen zu aktuellen politischen und ökonomischen Fragen – nur eben, beklagenswert oft in an Regierungspolitik und Kapitalismus angepasster Weise.

Linken und linken Parteien würde es anstehen, emanzipatorische Strömungen innerhalb der Kirchen und Religionen zu fördern, gerade auch wenn sie sich unabhänggig organisieren. Und es wäre notwendig, gesellschaftliche religionspolitische Auseinandersetzungen anzuregen, die sowohl individuelle Freiheitsrechte (wie zum Beispiel die Selbstbestimmung von Frauen oder gleiche Arbeitsrechte von Homosexuellen) fördern. Auch kritische Stimmen zu unterstützen, die beispielsweise die ökonomische Vermarktung von (Frauen-)körpern oder die rein ökonomisch und Leistungs orientierte Beurteilung von Föten in Frage stellen, wäre angebracht. Hierbei können sich ungewohnte Allianzen ergeben. Wenn ein Konsens darin besteht, dass sowohl rassistische Diskriminierung als auch Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität, oder körperlichen Eigenschaften in keinem Fall Bestandteil linker Politik sind und auch individuelle wie kollektive Religionsfreiheit geschützt werden sollen, dann müsste man erst gar nicht anfangen, über Maßnahmen wie Kopftuchverbote oder um die Einschränkungen religiöser Gebäude zu diskutieren. Grundsätzlich wäre einer Ressourcenorientierten statt Defizitorientierten Politik – also der Förderung von Initiativen und Stärken anstelle von Verboten – aus einer linken feministischen Basis-Orientierung heraus, die davon ausgeht, dass politische Transformation und /oder Revolution einen Bewusstseinswandel der Leute voraussetzt, der Vorzug zu geben.

Dr. Katja Strobel, katholische Theologin, Mitarbeiterin im Institut für Theologie und Politik in Münster/Westf.

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