Jürgen Klute: Was spricht eigentlich gegen Kirchensteuern?

Für Laizisten und Laizistinnen sind Kirchensteuern ein Reizwort. Aus ihrer Sicht stehen Kirchensteuern für eine nicht vollzogene Trennung von Staat und Kirche – obgleich diese mit den Artikeln 135 bis 142 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) bereits 1919 geregelt wurde. Das Grundgesetz der Bundesrepublik hat diese Artikel in Artikel 140 übernommen.

Zugegeben: Der Begriff Kirchensteuer klingt missverständlich. Tatsache ist, dass es sich bei den Kirchensteuern in der BRD nicht um staatlich festgesetzte Steuern handelt. Vielmehr sind Kirchensteuern ein Mitgliedsbeitrag für Kirchenmitglieder, der ausschließlich von den Kirchen selbst festgelegt wird.

Kirchen haben das Recht, ihre Beiträge als Steuern zu bezeichnen, sofern sie die Rechtsform einer nicht-staatlichen Körperschaft öffentlichen Rechts haben. Das ist geregelt in Art. 137 WRV. Im Unterschied zu staatlichen Körperschaften öffentlichen Rechts können die nicht-staatlichen Körperschaften öffentlichen Rechts keine staatlich-hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen.

Dieser Rechtsstatus ist kein Privileg der Kirchen. Laut WRV Art. 137 können alle Religionsgemeinschaften, die die Gewähr bieten, dass sie auf Dauer bestehen, diesen Rechtsstatus beanspruchen. So hat z.B. auch der Zentralrat der Juden in Deutschland den Status einer nicht-staatlichen Körperschaft öffentlichen Rechts. Neben den Religionsgemeinschaften gibt es auch Weltanschauungsgemeinschaften, wie z.B. den Humanistische Verband, der ebenfalls in einigen Bundesländern den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts hat, sowie weitere nicht-staatliche Körperschaften öffentlichen Rechts, die nicht religiöser Natur sind.

Als Körperschaften des öffentlichen Rechts haben Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften nicht nur das Recht, ihre Mitgliedsbeiträge als Steuern zu bezeichnen, sondern sie haben auch die Möglichkeit, diese Mitgliedsbeiträge bzw. Steuern durch das Finanzamt einziehen zu lassen. Allerdings machen nicht alle von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Das ist allerdings eine kostenpflichtige Dienstleistung des Finanzamtes. Die Religionsgemeinschaften, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, müssen dafür eine Gebühr an das Finanzamt entrichten. Für die Kirchen schwankt der Betrag je nach Bundesland zwischen 2 % und 4,5 % des Kirchensteueraufkommens.

Die Erhebung von Kirchensteuern und deren Einzug durch das Finanzamt als eine unzureichende Trennung von Staat und Kirche zu bezeichnen, trifft also nicht die Sache, zumal nicht nur die christlichen Kirchen diese Möglichkeit in Anspruch nehmen, sondern auch einige andere Religionsgemeinschaften.

Im übrigen sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass es auch zwischen Gewerkschaften und einigen großen Unternehmen, die einen sehr hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad haben, Vereinbarungen gibt, den Gewerkschaftsbeitrag direkt vom Lohn der Gewerkschaftsmitglieder einzubehalten und an die Gewerkschaft weiterzuleiten.

Wie verhält sich nun Die Linke zu diesem Thema? Zum Bundesparteitag 2016 hat der Landesverband Sachsen unter dem fragwürdigen Titel „Liberté, Egalité, Laïcité“ einen Antrag eingereicht, in dem u.a. gefordert wird, dass der Einzug von Kirchensteuern durch den Staat eingestellt werden soll.

Davon wären aber nicht nur die beiden großen Kirchen in Deutschland betroffen. Wie sich aus den obigen Erläuterungen ergibt, träfe das auch andere Religionsgemeinschaften.

Die VerfasserInnen ignorieren auch, dass die Praxis des Kirchensteuereinzugs eine verlässliche Finanzierungsgrundlage für die Kirchen schafft, die mittlerweile zu den größten Arbeitgebern der Republik gehören. Verlässliche und planbare Einnahmen sind jedoch eine Voraussetzung für stabile Arbeitsverhältnisse, die die verfasste Kirche durchgehend bietet. Sie lehnt sich mit ihren Tarifen weitgehend an den öffentlichen Dienst an.

Die Linke setzt sich zu Recht vehement für Gute Arbeit – also für gute Arbeitsbedingungen und für eine gute Bezahlung – ein. Dazu passen aber nicht simple Abschaffungs-Forderungen zur Kirchensteuer, wie sie aus dem LV Sachen kommen, ohne zu gleich alternative Finanzierungsvorschläge für Kirchen und letztlich für den gesamten zivilgesellschaftlichen Sektor zu machen.

Aus den Kirchensteuern werden zudem Kindergärten mitfinanziert. In Hessen z.B. sind das rund 900 Euro pro Jahr und Kind, die an Kirchensteuern in die Kindergärten fließen – und zwar für Kinder, deren Eltern einer Kirche angehören wie auch für Kinder, deren Eltern keiner Kirche angehören. Bei einer simplen Abschaffung der Kirchensteuern müsste der Staat dafür einspringen oder aber es käme zu umfangreichen Privatisierungen von Kindergärten.

Die Kirchen stellen heute eine tragende Säule der Zivilgesellschaft in der BRD dar. Kirchen und kirchliche Gruppen haben sich in den letzten Jahrzehnten in der Umweltbewegung, in der Friedensbewegung, in sozialen Initiativen und aktuell in der Flüchtlingsfrage engagiert. Ohne finanzielle Mittel, die zu guten Teilen ebenfalls aus Kirchensteuern kommen, wäre das nicht möglich gewesen.

Eine funktionierende und lebendige Zivilgesellschaft, zu der die Kirchen ohne Zweifel gehören, ist das Fundament einer gut funktionierenden Demokratie. Die Linke setzt sich laut Programm für eine Stärkung und einen Ausbau der Demokratie ein. Zu dieser Position passt es schlicht nicht, durch einen bunten Strauß von Abschaffungs- und Verbotsforderungen die existierende Zivilgesellschaft zu schwächen.

Sinnvoll wäre es statt dessen, eine grundlegende Reform der Zivilgesellschaft einzufordern, deren heutige rechtliche Verfassung auf die Zeit zurück geht, in der das Bürgerliche Gesetzbuch formuliert wurde und die von daher schon lange als reformbedürftig gilt.

Zu einer solchen Reform gehört die Forderung nach zeitgemäßen Rechtsformen für zivilgesellschaftliche Akteure.

Sie umfasst weiterhin eine Neuregelung der Finanzierung zivilgesellschaftlicher Akteure und deren steuerlicher Behandlung. Versteht man zivilgesellschaftliche Akteure als Teil einer lebendigen Demokratie und will man auch im zivilgesellschaftlichen Bereich gute Arbeit, dann lässt sich damit auch ein Anspruch auf eine öffentliche Grund-Finanzierung der Zivilgesellschaft begründen, die genau das sicherstellt.

Und schließlich umfasst eine solche Reform auch eine klare Formulierung der Rechte und Pflichten zivilgesellschaftlicher Akteure einschließlich der Anerkennung des Rechts auf eine kritische Auseinandersetzung mit Staat und Gesellschaft (vgl. den Konflikt von ATTAC mit dem Finanzamt Frankfurt). Bereits 1998 hat die damalige britische Labour-Regierung einen Dritte-Sektor-Pakt in diesem Sinne formuliert (dokumentiert in: Wolfgang Belitz, Jürgen Klute, Hans-Udo Schneider: Menschen statt Märkte. Für eine Neuorientierung der Kirche im Dritten System, Münster 2006, S. 281ff.). Daran ließe sich anknüpfen.

Im Rahmen einer solchen Reform wären selbstverständlich auch die Strukturen von Religionsgemeinschaften und deren Finanzierung neu zu regeln einschließlich des Verhältnises von Religionsgemeinschaften zum Staat und zur Gesamtgesellschaft. Denn eine Trennung von Staat und Kirche bedeutet gerade nicht ein Verbot von Rechtsbeziehungen zwischen Religionsgemeinschaften und dem Staat. Heute sind das eben nicht mehr nur die beiden großen Kirchen, um die es geht, sondern eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Religionsgemeinschaften – einschließlich islamischer Gemeinden. Damit haben klare, transparente und faire Rechtsbeziehungen zwischen Religionsgemeinschaften und Staat auch eine integrationspolitische Bedeutung.

Eine solche Reform trüge dem UN-Zivilpakt (www.zivilpakt.de) von 1966 Rechnung, der Teil des internationalen Menschrechtskodex ist. Dort heißt es in Art. 18, Abs. 1: „Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden.“

Das Religionsgemeinschaften mit staatlichen Einrichtungen Absprachen darüber treffen, wie z.B. über bestimmte Rechtsformen, in denen sie sich organisieren, und über die Erbringung bezahlter Dienstleistungen in Form des Einzugs von Kirchensteuern oder Kultussteuern (so die Bezeichnung für die Beiträge zur jüdischen Gemeinde) durch das Finanzamt ist durch den UN-Zivilpakt gedeckt, der im Wissen um den Zusammenhang von Zivilgesellschaft und Demokratie auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft zielt. Man kann diese Form der Kooperation kritisieren und bessere Formen vorschlagen, aber sie steht nicht im Widerspruch zum Gebot der Trennung von Staat und Kirche. Entscheidend ist, dass der Staat gegenüber Kirchen, Religionsgemeinschaften, Weltanschauungsgemeinschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren neutral bleibt, also weder Organisationen und Weltanschauungen bevorzugt noch diskriminiert.

Angesichts dessen steht Die Linke vor der Frage, ob sie es ernst meint mit ihrem programmatischen Anspruch, eine Menschenrechtspartei zu sein und eine Partei, die für die Stärkung der Demokratie und für gute Arbeit steht, oder aber ob sie eine Partei militanter und nicht ganz auf der Höhe der Zeit diskutierender Laizisten sein will.

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