Viola Schubert-Lehnhardt: Bericht einer Atheistin vom 100. Katholikentag 2016 in Leipzig

Dieser Artikel erschien in der Printausgabe der MIZ 2/16

Vom 25. bis 29. Mai 2016 fand unter dem Motto „Seht, da ist der Mensch“ in der „Stadt der friedlichen Revolution“ der 100. deutsche Katholikentag statt. Allein das Programmheft umfasst mehr als 600 Seiten, auf jeder Seite stehen mehrere Veranstaltungen1 – dies zeigt die Dimension eines Ereignisses in einer Stadt, deren EinwohnerInnen selbst nur zu 3-4% katholischen Glaubens sind. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb ist dieser „Tag“ und seine vielfältigen Angebote auf Interesse der LeipzigerInnen und ihrer Gäste gestoßen. Wie groß dieses Interesse tatsächlich war ist schwer abzuschätzen, da Einheimische und Zugereiste nicht zu unterscheiden waren. Offiziell wurde von über 34.000 Dauerteilnehmenden gesprochen2. Zusammen mit Gottesdiensten, Gebetszeiten und biblischen Impulsen gab es folgende große Themenbereiche:

  • Die Zukunft gestalten in Politik und Gesellschaft
  • Den Glauben leben und verantworten
  • Christlich –jüdischer Dialog
  • Dialog mit Wissenschaft und Recht
  • Familie und Generationen
  • Frauen und Männer
  • Globale Verantwortung
  • Jugend
  • Kirche vor Ort – Kirche bei den Menschen
  • Leben mit und ohne Gott
  • Ökumene.

Für mich am spannend waren u.a. angesichts der aktuellen Debatten innerhalb der LINKEN zum Verhältnis von Staat und Kirche der Schwerpunkt „Leben mit und ohne Gott“ – auch seitens der Veranstalter wurde der Dialog zwischen Gläubigen und Ungläubigen als wegweisendes Thema dieses Kirchentages genannt. Allerdings mit einer recht eigentümlich anmutenden Besetzung der Podien – hier wurde sehr darauf geachtet, dass die VertreterInnen von Religion und Kirche stets in der Mehrheit blieben. Insofern waren die von mir besuchten Veranstaltungen dann auch eher von einer Suche nach Konsens geprägt, denn von Auseinandersetzung und notwendiger Abgrenzung bzw. Veränderung3. Dies mag in Zeiten vielfältiger gravierender globaler Probleme durchaus sinnvoll erscheinen4, dann hätte dies jedoch auch so betont werden könnten.
Den Einstieg für mich in diese Debatte bildete ein Podiumsgespräch zum Thema „Laizität – Verheißung oder Schreckensbild? Was ist das bessere Verhältnis zwischen Religion und Staat?“. Es diskutierten Adrian Gillmann aus dem AK sozialdemokratischer Laizistinnen und Laizisten, Dr. Christoph Thiele, Leiter der Rechtsabteilung der EDK, Frau Aidyn und Dr. Janine Ziegler, Politikwissenschaftlerin5. Nach einer kurzen Begriffsunterscheidung zwischen Laizität und Laizismus6 wurde auf aktuelle Herausforderungen in einer multikulturellen säkularen Gesellschaft eingegangen. Gerade in Deutschland erlebten wir es derzeit häufig, dass Menschen über ihre Religion identifiziert werden. Religionszugehörigkeit und Staatsbürgerschaft seien jedoch zu trennen.

Weiterhin sei genauer zu hinterfragen, was bezogen auf die staatsbürgerlichen Rechte Gleichheit bedeute – hier betonte das Podium die Gleichheit der Privilegien. Zum Ist-Stand für Deutschland wurde hierzu auf den kürzlich erschienenen Bericht von Michael Bauer und Arik Platzek „Gläserne Wände. Bericht zur Benachteiligung nicht religiöser Menschen in Deutschland“7 verwiesen. Gleichfalls interpretiert wurde der Begriff „Religionsfreiheit“ als Freiheit seine Religion auszuüben oder sich jeder Religion zu enthalten. Dies bedeute jedoch nicht, vor dem „Aufeinandertreffen mit Religion“ geschützt zu werden. Unsere Gesellschaft sei kein religionsfreier Raum und werde es nie sein. Auch wachsender Pluralismus sei kein Anlass für Beschränkungen, vielmehr werde dadurch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Werten gefördert. Auf diesem Podium habe ich zu Ende der Debatte (und damit nicht ausdiskutiert) die einzige wirkliche Kontroverse erlebt – nämlich zwischen Adrian Gillmann und Christoph Thiele zur Frage, ob Bischöfe in Deutschland aus staatlichen (Steuer)Mitteln finanziert werden oder nicht.

Ein ähnliches Anliegen hatte das Podiumsgespräch zum Thema „Religion – m(M)acht – Verfassung. Glauben und gesellschaftlicher Wertekonsens im Spannungsfeld“. Hier diskutierten Prof. Dr. Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht, Dr. Katarina Barley, MdB SPD, Lamya Kaddor, Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, Dr. Ralf Schöppner, Direktor der Humanistischen Akademie Deutschlands. Auftakt bildeten die Thesen von Prof. Masing8, der betonte, dass

  • die Verfassung nur einen Rahmen zum Verhältnis Staat – Kirche bildet, der gestaltet werden kann und muss
  • sie beschränkt sich auf den äußeren Rahmen, nicht auf die innere Haltung
  • alle Menschen können sich daher in unverfügbarer Innerlichkeit entfalten
  • der Mensch wird in der Verfassung als politisches Wesen verstanden, Religion in ihrer sozial bezogenen Dimension
  • vor der Verfassung sind alle Menschen gleich
  • Ziel der Verfassung kann nie die Durchsetzung einer eigenen Moral sein; Moralgesetze lassen sich nicht durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen
  • die Durchsetzung ist leicht, wenn man der Religion die religiöse Selbstverantwortung zuerkennt
  • die Verfassung läßt sich dabei auf ein Wagnis ein, denn Religion kann auch negative Kräfte freisetzen.

Seitens MdB Barley wurde die Konfliktlinie „katholische Kirche als Arbeitgeber“ (Mindestlohn, Kündigungen wegen Auflösung der Ehe oder sexueller Orientierung) eingegangen, leider hielt es keiner der Anwesenden für nötig darauf einzugehen. Frau Kaddor beschrieb die Beiträge von Muslimen für die deutsche Gesellschaft (z.B. notwendige GastarbeiterInnen nach dem 2. Weltkrieg) und Ralf Schöppner betonte den praktischen Humanismus als Leitidee für eine pluralistische Gesellschaft. Hierbei forderte er die christlichen Kirchen auf, sich nicht nur für die Belange religiöser Menschen anderer Konfessionen zu engagieren, sondern auch für die Anliegen nichtreligiöser Menschen. Auch dazu hatte keiner der anwesenden Vertreter religiöser Einrichtungen etwas zu erwidern.

Diese Debatten wurden u.a. in den Veranstaltungen „Brauchen Werte Religion?“ und „Wem gehören die öffentlichen Rituale“ fortgeführt. Bei letzter Veranstaltung war für mich spannend, dass seitens des (religiösen) Publikums angemahnt wurde, nicht nur über Trauerrituale zu reden („Kirche als Trostabteilung“) – dies funktionierte genau 2 Sätze lang, dann wurde wieder darüber gesprochen, dass Kirchen Leid und Trauer einen Raum geben können…


1  Hier noch nicht mit dabei sind die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Giordano-Bruno-Stiftung und anderer Organisationen parallel angebotenen Veranstaltungen.

2  Beim 99. Kirchentag 2014 in Regensburg wurde von 50.000 Teilnehmenden gesprochen.

3  z.B. bei Privilegien der beiden Großkirchen in Deutschland

4  „Die Hauptkonfliktlinie unserer Zeit verläuft zwischen arm und reich und nicht zwischen Gläubigen und Ungläubigen“ meinte dazu ein linker evangelischer Pfarrer.

5  Hier war nur scheinbar ein Übergewicht von nichtreligiösen DiskussionsteilnehmerInnen gegeben –Frau Dr. Ziegler referierte zur Situation in Frankreich, Frau Aidyn zur Türkei. Beide äußerten sich nicht zur Situation oder Problemen in der BRD.

6  Beide Begriffe werden vielfach unterschiedlich verstanden und zum Teil nicht voneinander abgegrenzt.

7  Hrsg. HvD, Berlin, 2016

8  detailliert nachzulesen im demnächst erscheinenden Protokollband des Katholikentages

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