Emil Fuchs – Dimensionen einer gesellschaftskritischen Theologie zur Herausforderung von Macht

von Klaus Fuchs-Kittowski

Emil Fuchs – Dimensionen einer gesellschaftskritischen Theologie zur Herausforderung von Macht

Zur Auslegung des Römerbriefes und seinem Ringen um Frieden und Gerechtigkeit

«Auf einmal wusste ich, dass die letzte Gewissheit des Glaubens nur in der Aufgabe zu finden sei, die mit der Welterschütterung gegeben ist, in der wir leben.» Emil Fuchs (1929/1969: 143)

«Diese Obrigkeit ist selbst nur ein Ausdruck des Geistes, der die Gesellschaft beherrscht. Sie kann nur gestalten, was der Ameisenfleiß Ungezählter vorbereitet hat. Nicht von ihr zuerst, sondern zuerst von uns und unserem Verhalten hängt es ab, ob in der kommenden Generation Gewalt oder Liebe, Anstand oder Brutalität, wachsendes oder abnehmendes Rechtsbewusstsein, Sehnsucht nach Gerechtigkeit oder Egoismus das Leben beherrschen.» Emil Fuchs (1936–37/2015b: 536)

  1. Entschiedenes politisches Engagement aus dem Glauben – die Aufgabe, mit der man über sich selbst hinauswächst, ergibt sich, indem man sich in das Sein und Ringen der Massen hineinstellt

1.1. Grundlegung einer Politik der Gerechtigkeit aus dem Erfassen der Aufgabe im Sein und Ringen der Massen

Ich möchte hier, auf dieser meines Erachtens gegenwärtig besonders wichtigen Tagung zum Thema «Weltanschauliche Begründung einer Politik sozialer Gerechtigkeit» etwas Persönliches zu meinem Großvater Emil Fuchs sagen, zu dessen Gedenken diese Tagung beitragen will. Persönlich soll es sein, da ich kein Spezialist zum Thema Religiöser Sozialismus oder zum Verhältnis von Marxismus und Christentum und auch kein protestantischer Theologe bin. Wenn ich doch zum Thema «Emil Fuchs – Dimensionen einer gesellschaftskritischen Theologie zur Herausforderung von Macht», zur Auslegung des Römerbriefes und seinem Ringen um Frieden Gerechtigkeit spreche, so kann ich dies nur aus persönlicher Sicht tun, zum Teil, indem ich aus dem eigenen Erleben der Kämpfe um diese Problematik berichte. Auch über Erkenntnisse, die ich bei der Herausgabe der Auslegung des Neuen Testaments durch Emil Fuchs gewonnen habe, die er im Widerstand gegen den deutschen Faschismus geschrieben und unter den Quäkern und Religiösen SozialistInnen verteilt hat, will ich hier sprechen.

Seit dem Tode meiner Mutter, Elisabeth Fuchs-Kittowski, als ich vier Jahre alt war, wuchs ich bei meinem Großvater, Emil Fuchs, auf. Er bekam die Möglichkeit dazu aber nur, indem der Gefängnispfarrer von Berlin Tegel und Plötzensee, Harald Poelchau, offiziell die Vormundschaft für mich übernahm. Mit Poelchau hatte Fuchs schon seit 1934 die Hilfe für rassisch und politisch Verfolgte, in Zusammenarbeit mit Probst Heinrich Grüber, mit dem schwedischen Gesandtschaftspfarrer Birger Forell und mit Unterstützung der englischen und amerikanischen Quäker begonnen. Zugleich wurde das von ihm mit zwei Autos gegründete Autoverleihgeschäft, ergänzt durch vier weitere Automobile und eine Tankstelle, für deren Anschaffung in Berlin Geld gesammelt worden war, zur Fluchthilfe genutzt. Es diente der Fluchthilfe für politisch und rassisch Verfolgte – bis zur erneuten Verhaftung meines Vaters Gustav Kittowski im März 1937. Mit der Verhaftung wurden auch alle Autos und die Tankstelle von der Gestapo beschlagnahmt. Denn wie man in vielen Protokollen nachlesen kann, wusste die Gestapo genau, dass ein Pass und eine Transportmöglichkeit für die vor dem faschistischen Terror Flüchtigen die allerwichtigsten Dinge waren.

Emil Fuchs hat sich als junger Theologe intensiv mit der Theologie Ritschls auseinandergesetzt und sich dazu eingehend mit der Philosophie von Fichte, Schelling und Schleiermacher beschäftigt (Fuchs 1904b). Er gewann daraus die für sein Leben grundlegende Erkenntnis, dass die Entscheidungen über die lebenswichtigen Fragen nicht mehr bei Schleiermacher oder Ritschl oder anderen Philosophen oder Theologen gesucht werden darf. Sie können nur gesucht und gefunden werden in der Wirklichkeit der Massen und ihres Schicksals selbst. Die Entscheidung und damit die Aufgabe, mit der man über sich selbst hinauswächst, kann nur von dem gefunden werden, der sich selbst in das Sein und Ringen der Massen hineinstellt. Damit steht man unter dem Ruf, dem man folgen muss.

Das aber bedeutete für Fuchs, Partei zu ergreifen für eine «neue Welt der Gerechtigkeit, Freiheit und Brüderlichkeit». Damit eröffnete sich für ihn als Christ über Schleiermacher und Marx die noch unbestimmte gesellschaftliche Perspektive einer neuen Welt des Sozialismus.

Die zu bewältigende Aufgabe nicht aus Büchern von Philosophen oder Theologen zu gewinnen, sondern die Aufgabe und damit die Gewissheit seines Glaubens zu finden, indem man sich selbst in das Sein und Ringen der Massen hineinstellt, hatte für das Leben und Wirken von Emil Fuchs entscheidende Konsequenzen.

Er hat diese sein Leben bestimmende Erkenntnis erst schrittweise gewonnen. Wie aufgezeigt werden soll, geschah dies über folgende Stationen: (1) das Getroffensein durch die Worte des Propheten Amos; (2) den Rückgriff auf die Tradi­tionslinie Kant, Fichte und Schleiermacher; (3) das Ergriffensein vom Leben und Wirken des Apostel Paulus, in seinem geistigen Ringen mit dem übermächtigen Rom; (4) durch Leonhard Ragaz, den «Propheten unserer Zeit», wie Fuchs in nennt (1946), da er sich schon in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts dem Sozialismus zuwandte und damit (5) durch Karl Marx mit seiner Erkenntnis, dass es außer den Naturgesetzen auch wesentliche Zusammenhänge – Gesetze – in der Gesellschaft gibt, sodass Gesellschaft zum Besseren, Gerechteren weiterentwickelt werden kann.

Es sind für Emil Fuchs insbesondere die Religiösen Sozialisten und die Quäker, die den Gedanken der zu erfüllenden Aufgabe, mit der man über sich selbst hinauswächst, «die mit der Welterschütterung gegeben ist, in der wir leben», am klarsten vertreten: durch die Herausforderung von Macht (speak truth to power), indem gewagt wird, zur Verteidigung der Gerechtigkeit und des Lebens den Mächtigen die Wahrheit zu sagen.

1.2 Zur weltanschaulichen, philosophischen Grundlegung gerechter Politik

1.2.1 Zum Ringen von Emil Fuchs um Frieden und soziale Gerechtigkeit

Zuallererst ging es Emil Fuchs um das höchste Anliegen, das uns auch gegenwärtig wieder stark ergreifen muss: um den Frieden. Insbesondere kämpfte er darum, dass der Staat, aber auch die Kirche, dass insbesondere Marxisten und Christen sich gemeinsam für die Erhaltung des Friedens, gegen den Krieg und das damit verbundene sinnlose Wettrüsten intensiv einsetzen.

Fuchs hat den Kampf seines Lebens gegen den Krieg mit der Erkenntnis begonnen, dass, wer Frieden will, die Ordnung ändern muss, die immer wieder Kriege gebiert. Auch eine redliche Bemühung um Frieden ist letztlich nicht konsequent genug, wenn sie nicht auch nach den letzten sozialen Ursachen, den Ungerechtigkeiten der Gesellschaft, die sich aus der Klassenspaltung ergeben, fragt. Friedenspolitik verlangt zugleich eine Politik der Gerechtigkeit. Daher muss sich politisches Handeln generell am Maßstab der Gerechtigkeit orientieren, will sie wirklich dem Menschen dienen.

Im zweiten Band seiner Autobiografie, im Abschnitt IV, der überschrieben ist mit «Der Einsame Weg und seine Kämpfe», geht Fuchs, damals Pfarrer in Eisenach, auf sein Engagement in den Klassenkämpfen dieser Zeit ein. Er beschreibt, welch schwere Entscheidung es für einen Pfarrer in der damaligen Zeit war, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei zu werden. Er schildert, wie fünf Arbeiter aus seinem Seelsorgebezirk von einer durchmarschierenden Reichswehrabteilung, die hauptsächlich aus einem Freiwilligenbataillon aus Marburger Studenten bestand (Krüger/Nagel 1997: 3), erschossen wurden (Fuchs-Kittowski 2007).1 Er besuchte die Witwen und hatte die Beerdigung zu halten. Schon dies brachte ihm die Empörung des Bürgertums ein, die ihn «als einen Parteigänger der Kommunisten» (Fuchs 1959b: 132) kennzeichneten. Nach einiger Zeit zog die Reichswehr ab und die freiwilligen Marburger Studenten nahmen zwölf Männer mit, die als Kom­munisten denunziert worden waren, schleppten sie bis nach Sättelstädt und erschossen sie. Gegen diese Studenten wurde Anklage erhoben. Als jedoch der Eindruck entstand, dass der Prozess so lange verschleppt würde, bis alles in Vergessenheit geriete, schrieb Fuchs einen Artikel, der darauf hinauslief, dass die Angelegenheit untersucht wer­den müsse. Wie er sich erinnerte: «Die bürgerliche Welt Eisenachs stand restlos in Flammen. Die Altherren­bünde sämtlicher Korporationen setzten Erklärungen in die Zeitung, dass sie mit mir nicht mehr verkehren könnten» (ebd.: 133). Dies führte zum «Fall Fuchs»: Kirchenvorstand und Kirchengemeindevertretung traten zusammen, um sich mit dieser Sache und überhaupt mit dem Wirken dieses Mannes zu beschäfti­gen. Zu seiner Verteidigung zog Fuchs die Erklärung der inzwischen in Stockholm stattgefundenen Weltkirchenkonferenz für praktisches Christentum2 heran, in der die Kirchen unter anderem erklären, dass sie sich verpflichtet fühlen, «gegen die Sünde des Krieges» zu kämpfen. Im Verlaufe der Aus­sprache las er den Satz aus der Stockholmer Erklärung vor. Es half ihm nicht, denn wie er berichtet: «Da rief mir der Vorsitzende Oberpfarrer zu: ‹Das steht ja gar nicht da!› – Tatsächlich stand in der inzwischen erschienenen deutschen Ausgabe, dass sich die Kirchen ver­pflichtet fühlten, ‹gegen die Sünden des Krieges› zu kämpfen. Man hatte nicht gewagt, den deutschen Christen das Wort ‹the sin of war› zu übersetzen. Man fügte nur ein ‹n› zu, und alles war der nationa­listischen Leidenschaft nicht mehr anstößig. Ein Mann wie ich konnte sich auf Stockholm nicht mehr berufen. – Wird hier nicht schon deutlich, wie sehr die deutschen führenden Kirchenmänner an dem schuldig sind, was später in der deutsch-christlichen Bewegung hervortrat?» (Ebd.)

Noch etwas anderes zeigte sich, das Fuchs, als er diese Zeilen schrieb, in seinem Ausmaß wahrscheinlich noch gar nicht erkannte: In Eisenach trat in der Nazizeit eine Gruppe hervor, die die «Entjudung» der Bibel betrieb und Jesus zum Arier stilisierte. Wie in der Frankfurter Rundschau am 14.10.2015 von A. Förster berichtet wurde, veranlasste diese Gruppe auch, dass christliche Bibelsprüche, die ihnen zu jüdisch erschienen, aus der Georgenkirche am Eisenacher Markt entfernt und durch dem damaligen nationalistischen Zeitgeist entsprechende Texte ersetzt wurden. Es ist sehr erfreulich, dass eine Schülergruppe des Eisenacher Martin-Luther-Gymnasiums kürzlich eine Ausstellung organisiert hat, die über diese Verfälschung der Bibel berichtet (Martin-Luther-Gymnasium Eisenach 2013), und dass jetzt die originalen christlichen Bibelsprüche wieder in der Georgenkirche angebracht werden.

Es gab leider noch viele weitere Propagandisten faschistischen Gedankengutes und Wegbereiter3 für diesen Sturz in den Abgrund (vgl. Arnhold 2010b).

Diese Erfahrungen, mit der in Eisenach offenen hervortretenden Reaktion, prägten offensichtlich die klare Erkenntnis von Emil Fuchs, dass das Ringen um Frieden und um soziale Gerechtigkeit eine Einheit bilden, dass Friedenssicherung mit der Notwendigkeit gesellschaftlicher Neugestaltung eng verbunden ist, denn selbst ein redliches Bemühen um Frieden ist letztlich nicht konsequent genug, wenn nicht auch gesehen wird, dass die Ordnung geändert werden muss, die immer wieder Kriege gebiert.

1.2.2 Gewährleistung individueller, sozialer und internationaler Menschenrechte

Gerechtigkeit ist ein altes Thema der Philosophie. Die Durchsetzung von Gerechtigkeit kann als Maßstab angesehen werden, an dem der Erfolg von Politik zu messen ist. Aber zugleich gilt es auch zu klären, welche Prinzipien die Politik zu befolgen hat, um dem Anspruch, sie sei eine Politik der Gerechtigkeit, wirklich gerecht zu werden.

Hierbei spielen Fragen nach der Verteilungsgerechtigkeit, der biomedizinischen Gerechtigkeit sowie der internationalen Gerechtigkeit heute eine besondere Rolle.

Zu Beginn des 21. Jahrhundert sind Gerechtigkeit und die Legitimität politischer Macht zentrale Fragen, die weltanschaulich zu begründen sind. So versteht sich diese Konferenz als ein Beitrag zum Dialog zwischen verschiedenen philosophischen und religiösen Begründungen einer Politik der Gerechtigkeit.

Wenn man sich heute zumeist darin einig ist, dass Politik anstreben muss, Gerechtigkeit durchzusetzen, ist man sich doch sehr uneins in der Frage, wie dies geschehen soll. Diese Frage bezieht sich auf die einer gerechten Politik zugrunde zu legenden Prinzipien, sowie auf die Wege zur Lösung der aktuellen politischen Probleme. Aktuell sehen wir dies sehr deutlich bei der Diskussion um eine richtige Flüchtlingspolitik.

Einer Politik der Gerechtigkeit geht es insbesondere um das Recht auf Bildung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf Schutz bei Krankheit, das Recht auf ein Leben in Frieden. Es geht um die Gewährleistung individueller, sozialer und internationaler Menschenrechte.

Die Forderung nach sozialer Gleichheit bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen wird insbesondere dadurch notwendig, dass auch andere anzustrebende Ziele, wie die von Frauen erhobene Forderung nach Gleichstellung (vgl. Nussbaum 2010) 4 oder eine möglichst Gleichverteilung sozialer Anerkennung, nur unter der Bedingung sozialer Gleichheit zu realisieren sind.

Es ist zu begründen, warum sich politisches Handeln generell am Maßstab der Gerechtigkeit orientieren muss, will sie wirklich dem Menschen dienen. Dies kann hier nicht unternommen werden. Wir können aber einige Gedanken von Emil Fuchs und Episoden seines Lebensweges aufgreifen, um darzustellen, wie die Notwendigkeit des Ringens um Gerechtigkeit erkannt, begründet und realisiert wird. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass sich Fuchs sehr entschieden zum Thema Arbeitslosigkeit geäußert hat.

1.3 Ruf und Antwort

Vom Propheten Amos wird in der Religionsgeschichte oft gesagt, er habe als Erster dem irdischen Geschehen eine einheitliche Deutung gegeben. So erklärt sich, dass der Prophet Amos immer wieder zum Inspirator jener Christen wurde, die in ihrer Zeit zu Kämpfern für soziale Gerechtigkeit wurden. Dies gilt gegenwärtig insbesondere für Albert Schweitzer (vgl. Schweitzer 1995), Emil Fuchs und Martin-Luther King (1996).

Albert Schweitzer findet mit Amos einen alttestamentarisch-prophetischen Ansatz für seinen Grundsatz der Ehrfurcht vor dem Leben. Aber vor allem zwingt ihn die Unabdingbarkeit des Rufes zu der Entscheidung, nach erfolgreichem Musik- und Theologiestudium sowie großen Erfolgen als genialer Bachinterpret noch ein langwieriges Studium der Medizin zu beginnen, um dann die Arbeit als Arzt im afrikanischen Urwald aufzunehmen. Der nur ein Jahr jüngere Emil Fuchs findet am Scheideweg durch Amos seinen Weg im Ringen um sozialen Fortschritt, Martin-Luther King seinen Weg im Kampf gegen Imperialismus und Rassismus. Er wurde zum Führer der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung; seine Ermordung erschütterte die Welt.

Emil Fuchs schreibt in seiner Autobiografie: «Diese Vorlesung über die Propheten wurde entscheidend für meine ganze geistige – besser gesagt – meine religiöse Ent­wicklung. Nie hätte mich die kritische Theologie als solche von meinen orthodoxen Überzeugungen abgebracht, wenn diese Ausdruck der Wirklichkeit der ewigen Welt sind, der wird allen kritischen Beweisen unzugänglich sein. Für ihn ist ja hier eine Welt, die nach anderen Gesetzen gebaut ist als die ge­schichtliche Welt, die unser Verstand und unsere Kritik erforscht und begreift. Hier muss erst jene Überzeugung von der Wirklichkeit dieser Welt des Dogmas erschüttert sein. Es muss deutlich werden, dass ‹Gottes Wort› etwas anderes ist als Dogma oder der Buchstabe der Bibel. Dann erst kann alle Kritik einsetzen. Es war der Prophet Amos, der mir zur Botschaft des Göttlichen wurde und an dem mir auf­ging, was Offenbarwerden der Gottheit ist und bedeutet; dass der Mensch, vom Rufe Gottes getroffen, ihm sein Leben und Sein zum Werkzeug geben muss. Das gewaltige erste Kapitel des Amos mit seiner Gerichtsweissagung über alle, die Gottes Wille miss­achten – auch über Israel – machte einen mächtigen Eindruck auf mich. Dann aber kam jenes Wort: ‹die die Gerechten um Geld und die Armen um ein Paar Schuhe verkaufe› (Amos 2, V. 6) und ‹Der Löwe brüllt, wer sollte sich nicht fürchten – der Herr redet, wer sollte nicht au­ßer sich geraten› (Amos 3, V. 8).

Das unbedingte Müssen, das diesen Mann ergriffen hat in seiner Verantwortung für die Armen seines Volkes, legte sich auf mich. Es wurde mir deutlich, dass hier eine Größe und eine Wirklichkeit in die Menschheit hineinragt, die auf dem Wege orthodoxen, tradi­tionellen Christentums nie erfasst und verstanden werden kann. Diese Wirklichkeit, die zu mir redet und meine Verantwortung für mein Volk wachrief, begann den Kampf mit der anerzogenen traditionellen Frömmigkeit.» (Fuchs 1957: 64 f.)

Emil Fuchs schildert hier sein Ringen als Student der Theologie 1894 in Gießen, speziell im Kolleg zur Kirchengeschichte und Auslegung des Alten und Neuen Testaments, mit der ihm vom Elternhaus anerzogenen traditionellen Frömmigkeit. Hier schon werden Grundlagen dafür gelegt und entwickelt, die uns in seiner erst 40 Jahre später (1934–45) in Angriff genommenen Auslegung des Neuen Testaments wieder begegnen. Es ist sein Bemühen, möglichst deutlich, von der theologisch-kritischen Forschung belegt, zwischen dem «gewaltigen Boten Gottes in der Bibel» und dem, was möglicherweise schon von den frühen christlichen Gemeinden hinzugesetzt wurde, zu unterscheiden. Ihm geht es um den Ruf – nicht als Weltanschauung und Lehre –, sondern zu der Stimme Gottes, die «Menschen, die von einer ungeheuren Aufgabe und Verantwortung erfasst in ihrer Zeit stehen und ihrer Zeit die Aufgabe zeigen, die Gott ihr gestellt hat» (ebd.: 65).

Die Texte aus Amos und auch Jeremia waren so aufrüttelnd für Fuchs, weil hier die Verbindungslinien zwischen der unabdingbaren Forderung der Propheten nach Wahrheit und Gerechtigkeit und den Fragen, die sich ihnen in der gegenwärtigen Welt stellten, besonders deutlich hervortreten.

1.4 Entscheidung für die Traditionslinie Fichte, Schelling, Schleiermacher 5

1.4.1 Emil Fuchs zu Fichtes ethischem Idealismus und Konzept der Selbstständigkeit

Emil Fuchs wurde schon früh bewusst, wie unchristlich die bestehende soziale Ordnung ist. Auf der Suche nach philosophischen Grundlagen, die Ansätze und Maßstäbe zu einer Veränderung bieten, wandte er sich dem klassischen deutschen Idealismus, speziell der Traditionslinie Fichte, Schelling, Schleiermacher zu.

Fuchs ist zu Beginn des vorigen Jahrhunderts mit drei Arbeiten über Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher in die theologische Diskussion eingetreten und hat sich damit einen festen Platz in der Schleiermacher-Forschung erarbeitet (Fuchs 1901; 1903; 1904a). Im Jahre 1904 erschien sein Werk «Vom Werden dreier Denker» mit dem Untertitel: «Was wollten Fichte, Schelling und Schleiermacher in der ersten Periode ihrer Entwicklung?» (Fuchs 1904b). In diesem Buch, welches nun, nach genau 110 Jahren, im Jahr seines 140. Geburtsta­ges, online wieder erhältlich ist, wird das ethische Interesse Fichtes am Idealismus besonders herausgearbeitet. Fichtes subjektiv idealistische Philosophie lässt sich am treffendsten als ethischer Idealismus bezeichnen.

Fuchs schreibt: «Diese Wir­kungen des Idealismus sind nicht zu verstehen ohne die Erkenntnis, wie sehr für diese Denker, vor allem für die drei, von denen das Folgende handelt, das Denken eben nicht abstrakte Spekulation, graue Theorie war, sondern ein Mittel – man kann vielleicht sagen, ‹das Mittel›, eine andere Grundlage für das praktische sittliche Leben zu erkämpfen» (Fuchs 1904b: VI–VII) .

So schreibt heute Gerhard Gamm bei seiner Darstellung der Philosophie Fichtes:

«Man kann ohne Übertreibung Fichtes Philosophie insgesamt als eine ethische bezeichnen. Für sie ist entscheidend der Bezug, den jedes Selbst auf sich hat, und wie es ihn auffasst und gestaltet. Selbstbewusstsein heißt nicht nur: Dass ich weiß (in Einheit und Unterschied) um sich selbst; es steht von Anbeginn unter der (ethischen Forderung): Sich von allen Gegebenheiten, sei es von der inneren, sei es von der äußeren Natur, loszureißen. Das Selbstbewusstsein muss sich auf sich selbst stellen, denn im Unterschied zum Dogmatiker, der sich durch das Gegebene, das Nicht-Ich oder äußere Autoritäten bestimmen lässt, sucht der dem Idealismus verpflichtete Mensch, sich frei über sich und jede Abhängigkeit zu erheben. Unfrei sind nach Fichte die Dogmatiker, weil sie sich selbst nur im Vorstellen der Dinge finden.» (Gamm 2012: 54 f.)

«[] sie haben nur jenes zerstreute, auf den Objekten haftende und aus ihrer Mannigfaltigkeit zusammenzulesende Selbstbewusstsein», schreibt Fichte (1967: 17).

Emil Fuchs geht es um das Verhältnis Schleiermachers zu Fichte und Schelling, die gleichzeitig mit diesem von Immanuel Kant aus weiterdachten. In seinem Werk «Das Werden dreier Denker» wird der geistige Prozess dargestellt, den das ethische Grundproblem der «Freiheit» von Fichte und Schelling zu Schleiermacher durchläuft.

Der Ausgangspunkt des Idealisten Fichte ist das Interesse an der Freiheit: «Jenes Selbstbewusstsein drängt sich nicht auf und kommt nicht von selbst; man muss wirklich frei handeln, und dann vom Objekt abstrahieren, und lediglich auf sich selbst merken. Niemand kann genötigt werden, dies zu thun, und wenn er es auch vorgibt, kann man immer nicht wissen, ob er richtig und, wie gefordert werde, dabei verfahre. Mit einem Worte, dieses Bewusstsein kann keinem nachgewiesen werden; jeder muss es durch Freiheit in sich selbst hervorbringen» (Fichte 1967: 13). Für Fichte bedeutet Freiheit Unabhängigkeit von der Natur. Dies wird von Schelling als ein barbarisches Verhältnis zur Natur bezeichnet (vgl. Zimmermann 2014). Für Fichte be­deutet Freiheit vor allem Selbstständigkeit.

Fuchs kritisiert, dass es Fichte nicht gelingt, den Inhalt dieser Freiheit näher zu bestimmen, dass er sich mit einer «leeren» Selbstständigkeit des Ichs zufrieden gibt, ohne deutlich zu machen, dass das, was das Ich vom Nicht-Ich «oder der in ihm wirkenden Macht verlangt, nicht bloß Freiheit ist, sondern die Möglichkeit, sich zur ethischen Persönlichkeit zu vollenden» (Fuchs 1904b: 188).

Ist das Handeln, zu dem Fichte aufruft, immer schon wertvolles Handeln? Ist die Freiheit, «unablässig zu ringen», schon die ganze Sittlichkeit? Fuchs schreibt: «So scheint mir Fichtes System hier an einem Mangel an Vollständigkeit und Klarheit zu leiden, der es unmöglich machte, dass die Fragen, die tatsächlich in ihm vorliegen, zum Austrag kamen, ja klar erfasst wurden. Es gilt nun von den gewaltigen Wirkungen dieses Systems die zu betrachten, die es auf die beiden nächsten Denker dieser Zeit hatte. Es sind Schelling und Schleiermacher, zunächst der in dieser Epoche Fichte am nächsten stehende, persönlich ihm ja engbefreundete jugendliche Schelling.» (Ebd.)

Fuchs zeigt in den folgenden Abschnitten, dass auch dieses einseitige Verständnis des Begriffs der Selbstständigkeit und Freiheit des Ichs sowohl den jungen Schelling als auch Schleiermacher beeinflusste. Er schreibt:

«Aber so schillernd und unbestimmt dadurch an diesem Punkt Fichtes Gedankenwelt wird, und so einseitig es wäre, dieses Prinzip allein zur Grundlage der Ethik zu machen, so waren doch die Wirkungen, die gerade diese einseitige Betonung dieses Begriffes her­vorbrachte, tiefgreifend, gewaltig und segensreich. So wurde er zum Wortführer der Jugend, der deutschen Zeitgenossen der französischen Revolution, die Wissenschaftslehre zum Panier im Kampfe um geistige Freiheit, gegen alle moralische Schlaffheit, die sich ja gerade im Gegensatz zur Revolution in ängstlich konservativer Gesinnung zeigte auf allen Gebieten. Ihm ist es wohl zu danken, dass die Erregung der Geister in Deutschland nicht verpuffte, sondern sich umsetzte in zähe und nachhaltige Ausdauer, die jenen gewaltigen Aufschwung des deutschen Volkes herbeiführte, ohne unter allen Schwierigkeiten und Misserfolgen zu ermatten. Einseitig war der Gedanke der Selbständigkeit, aber er zündete in den Gewissen und ergänzte sich bei den edel Denkenden von selbst zu kraftvoller Auffassung des ganzen Gebiets des Sittlichen.» (Ebd.: 189 f.)

1.4.2 Von Friedrich Schleiermacher zu Karl Marx

Der Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ist mit seinem bedeutenden Werk «Über die Religion – Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern» (1799/1969), obwohl es zuerst ohne den Namen des Verfassers erschien, sehr schnell weithin bekannt geworden. Es wurde 1799 veröffentlicht und legte den Grundstein für seinen Ruf als «Kirchenvater des 19. Jahrhunderts».

Fuchs führt die besondere Aufmerksamkeit, die dieses Werk Schleiermachers erfuhr, insbesondere auch darauf zurück, dass hier im sogenannten Atheismusstreit von religiöser Seite für Fichte Partei ergriffen wurde – zu einem Zeitpunkt, als viele bedeutende Köpfe des deutschen Geisteslebens wie Goethe und Kant den unbequemen Störenfried fallen ließen.

Der «Atheismusstreit», die heftigen Diskussionen um Fichtes Schrift «Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung», verbunden mit einer Anklage wegen Verbreitung atheistischer Ideen, führten zu seiner Amtsenthebung in Jena, der auch Goethe zustimmte. Fuchs schrieb dazu: «Die Gegner klagten ihn des Atheismus an. Er sie unsittlicher Denkungsart. So hat auch seine Polemik eine so verletzende Schärfe, dass man die Verbitterung der Gegner verstehen und auch zum Teil entschuldigen kann. Unentschuldbar und schmerzlich aber bleibt es, dass auch Männer wie Goethe, Herder und Kant sich gegen ihn entschieden […] So zeigt der Atheismusstreit die Schranken dieser sonst gewaltigen Persönlichkeiten, Kants allzu große Vorsicht, Herders allzu große Reizbarkeit und Heftigkeit […], Goethes Misstrauen gegen alles, was nach unten bilden will und deshalb auch die Fragen des Denkens und der Neuerung in die Öffentlichkeit bringt» (Fuchs 1904b: 286).

Weiter schreibt Fuchs: «Während so viele sich von Fichte zurückzogen, trat ihm ein bis dahin unbekannter Mann mutig zur Seite. Zwar erschien das Büchlein anonym, aber da, wo man den Betreffenden zur Verantwortung ziehen konnte, konnte er nicht hoffen, verborgen zu bleiben, und blieb es auch nicht. Dieser Kämpfer ist der damalige Prediger an der Charité, Schleiermacher, und sein Buch die ‹Reden über Religion›. Diese sind also eine Schrift aus dem Atheismusstreit, und das erklärt zum guten Teil, warum sie so allgemeine Beachtung fanden. Die allgemeine Aufmerksamkeit war eben erregt. Aber dass sie einen so gewaltigen Erfolg erzielten, dass philosophisches, theologisches Denken und vor allem religiöses Empfinden durch sie neu belebt wurden, das war nur möglich durch ihre innere Bedeutung.» (Ebd.: 286)

Schleiermacher gewann für die weitere theologische Entwicklung von Fuchs eine besondere Bedeutung. Wie er zu Beginn seines proklamatorischen Artikels für den Bund Religiöser Sozialisten Deutschlands (BRSD) «Von Schleiermacher zu Marx» schreibt: «Die Frucht dieser Hinwendung zu Schleiermacher war eine eingehende Beschäftigung mit dem gesamten deutschen Idealismus, wie sie in meinen Jugendbüchern niedergelegt ist» (Fuchs 1929/1969:133).

Emil Fuchs wandte sich Schleiermacher und der deutschen klassischen Philosophie in ihren Vertretern Kant, Fichte und Schelling zu, um seine bisherige Orientierung an der Theologie von Ritschl zu überwinden. Er hatte bewusst sein Theologiestudium an der Universität Gießen begonnen, da diese Universität zu jener Zeit als eines der Zentren der modernen Theologie, der Ritschl’schen Schule, galt. Auf dieser Grundlage vermochte er die in seinem Elternhaus vorherrschende «lutherische Orthodoxie» zu überwinden. «Ritschl hatte zu Luther zurückgeführt. Ritschl hatte auch die Kirche und kirchliche Überlieferung wieder in ihrer überragenden Bedeutung gewürdigt. Für ihn war sie die Trägerin der Glaubensgewissheit und Glaubenswahrheit» (Fuchs 1929/1969: 133).

Von Ritschl zu Schleiermacher trieb Fuchs die Erkenntnis, «dass damit die Glaubensgewissheit und Glaubenswahrheit beschränkt wurde auf den Kreis derer, denen Kirche und kirchliche Überlieferung noch Autorität war. Und wir fühlten, wie dieser Kreis enger und enger wurde, wie er vor allem diejenigen nicht mehr umschloss, die die eigentlichen Träger des Geisteslebens der Nation waren» (ebd.).

In seinem Aufsatz «Von Friedrich Schleiermacher zu Karl Marx» arbeitet Fuchs heraus, welche Bedeutung das Verständnis der Religion von Schleiermacher für seine eigene theologische Entwicklung und für seine Hinwendung zum Marxismus hatte.

Emil Fuchs setzte sich mit den Gedanken der Idealisten Fichte, Schelling und Schleiermacher in der ersten Periode ihrer Entwicklung auseinander, in der sie die Französische Revolution begleiteten. Er wendet sich insbesondere dem Theologen Schleiermacher zu, von dessen theologischem Werk und auch von dessen Persönlichkeit er tief beeindruckt ist. In den ebenfalls in der Zeit des Faschismus geschriebenen und an seinen Freundeskreis verschickten Briefen «Aus meiner Lebensarbeit», die dann die Grundlage für seine Autobiografie bilden, schreibt er über Schleiermacher:

«Je länger ich mich mit Schleiermacher beschäftigte, desto deutlicher wurde mir, dass man mit Hilfe philosophischer Bildung sich einen Überblick und eine innere Bewältigung der geistigen Probleme und der Wirklichkeitserkenntnis der Zeit aneignen müsse, wenn man dieser Zeit das religiöse Leben in seiner Wahrheit und Wirklichkeit wieder bieten wolle, ja wenn man nur selbst zu der Sicherheit und Überzeugungshaltung kommen wollte, die nicht nur auf religiöser Instinkthaltung, sondern auf klares, begründetes Urteil gebaut sei.» (zitiert nach Fink in Fuchs 1969: 18)

Es geht Fuchs insbesondere um die Aufnahme der Frage Schleiermachers nach der Verantwortung der Christen in der Gesellschaft. In seiner Autobiografie heißt es weiter:

«So sieht auch Schleiermacher den Menschen als eine geistige, aufnehmende Kraft dem Geistigen gegenüber, dessen Teil er ist und das doch in unbegreiflich geheimnisvoller Wirkungsmächtigkeit und Art ihm gegenübersteht. [] Sein eigenes Gottesbild hat jeder Mensch, wie es ihm entsteht aus dem Zusammentreffen mit dem Universum. Dies Universum ist aber nicht der äußere Kosmos, wie man ihn so oft versteht. Es ist die innere Einheit, die innere Wesenhaftigkeit, die das alles ordnet und dem allen seinen Sinn gibt. [] Schleiermacher fand die gewaltige Zustimmung der ‹Gebildeten› unter den ‹Verächtern der Religion› zu seiner Zeit, weil er ihnen das Wesen der Religion darzustellen wusste in seiner starken Lebendigkeit, in jener Lebensfähigkeit, in der Religion Grundlage aller Bildung und Ruf zu aller Gestaltung ist. [] Mir klang aus den ‹Reden über die Religion› eine Auffassung entgegen, die es mir möglich machte, mein Ergriffensein vom Geiste der Propheten und von der tiefen Verantwortung für mein Volk einzubauen in die umfassende wissenschaftliche Weltanschauung, die ich mir – ausgehend vom Studium Kants – zu gestalten begonnen hatte.» (Fuchs 1957: 91 f.)

Diese Aufnahme und Auseinandersetzung mit dem theologischen Werk von Schleiermacher führt Fuchs letztlich zur Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaft und zur Mitbegründung der Bewegung der Religiösen Sozialisten.

Nach Schleiermacher wird sich der Mensch in Anschauung des Universums der «Ahnung eines Plans» bewusst, durch den sein Schicksal gelenkt wird und er sich gehalten fühlt. So geschieht Schleiermacher zufolge die Offenbarung. Dieses Verständnis der Religion als «aus dem Gemüt entspringende Deutung der Welt» ist die letzte Ausweitung der Suche nach Gemeinschaft. Dies kann jedoch nach Fuchs nicht eine theoretisch geschlussfolgerte, sondern nur eine praktisch geglaubte Deutung der Welt sein.

In seiner vierten Rede über die Religion entwickelt Schleiermacher den Gedanken eines allgemeinen Priestertums, welches keiner anderen Organisation mehr bedarf als der «frommen Häuslichkeit». Denn dies könne das «treueste Bild des Universums» sein. Die Voraussetzung dazu ist für Schleiermacher eine vom «Druck mechanischer und unwürdiger Arbeit» befreite Menschheit, die erst dadurch den «freien offenen Blick» gewinnen kann, «mit dem allein man das Universum findet» (Schleiermacher 1799/1969: 154).

Schleiermacher entwickelt dazu eine soziale Utopie. Er stellt fest:

«Es gibt kein größeres Hindernis der Religion als dieses, dass wir unsere eigenen Sklaven sein müssen, denn ein Sklave ist Jeder, der etwas verrichten muss, was durch tote Kräfte sollte bewirkt werden können. Das hoffen wir von der Vollendung der Wissenschaft und Künste, dass sie uns diese toten Kräfte werden dienstbar machen, dass sie die körperliche Welt, und alles von der geistigen, was sich regieren lässt, in einen Feenpalast verwandeln werde, wo der Gott der Erde nur ein Zauberwort auszusprechen, nur eine Feder zu drücken braucht, wenn geschehen soll, was er gebeut. Dann erst wird jeder Mensch ein Freigeborener sein, dann ist jedes Leben praktisch und beschaulich zugleich, über keinen hebt sich der Stecken des Treibers und Jeder hat Ruhe und Muße, in sich die Welt zu betrachten.» (Ebd.)

Die Realisierung dieser auf die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie setzenden sozialen Utopie, durch welche Religiosität erst wirklich freigesetzt werden kann, ist für Schleiermacher zugleich auch erst durch die Religion zu gewinnen. Denn ohne ein gelingendes Leben – ohne Beschaulichkeit, ein Gleichgewicht von Praxis und Theorie – kann dies alles nicht gedacht werden.

Entscheidend ist für Fuchs, dass für Schleiermacher sittliches Leben ein Leben in der Gemeinschaft ist. Eine Gemeinschaft, die durch das Streben zusammengehalten wird, die eigene Individualität in der Gemeinschaft mit anderen herauszubilden, sich den anderen zu wahrer innerer Gemeinschaft zu erschließen. Dieses Streben nach Gemeinschaft, so betont Fuchs immer wieder, impliziert Verantwortung des Einzelnen für das Ganze.

Insbesondere die Bezugnahme von Schleiermacher auf Spinoza, der die Notwendigkeit der Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten im Weltgeschehen betont, bildet für Fuchs eine weitere entscheidende Brücke zum Marxismus, der für sich beansprucht, entscheidende Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft aufgedeckt zu haben, die auch richtungweisend für das eigene Handeln werden können.

In dem Artikel «Von Friedrich Schleiermacher zu Karl Marx», der 1929 im ersten Heft der Zeitschrift für Religion und Sozialismus – im Gründungsheft des Bundes der Religiösen Sozialisten – erschien, betont Fuchs, dass die letzte Glaubensgewissheit aus der Aufgabe resultiert, vor die uns die sich vollziehende ‹Welterschütterung› stellt. Diejenigen, die sich dieser Aufgabe bewusst werden und sich ihr stellen, die sich in das ‹Sein und Ringen der Massen› mit hineinstellen, werden darüber entscheiden, ob die Menschheit in Zukunft mit oder ohne Religion leben wird, ob Marx in dieser Frage recht behält, dass Religion ‹Opium des Volkes› ist oder nicht, oder ob die christliche Religion auch und im besonderen Maße, im Bunde mit den durch Karl Marx revolutionierten Massen, einen Beitrag für die Schaffung einer Welt der Gerechtigkeit, Freiheit und Brüderlichkeit leisten kann.

  1. Auslegung des Evangeliums durch Emil Fuchs im Kontext von Verfolgung und Widerstand

2.1 Zur Auslegung des Matthäusevangeliums durch Emil Fuchs – Die unbedingte Forderung: Verantwortung für den Mitmenschen

Emil Fuchs war sicher als Mensch, als Pfarrer und Seelsorger, als Theologe eine ganz besondere Persönlichkeit. Die Verleihung eines Ehrendoktors durch eine Universität ist für einen Wissenschaftler immer eine ganz besondere Ehrung. Wer aber bekommt schon im Alter von 40 Jahren (im ersten Kriegsjahr 1914) einen Ehrendoktortitel verliehen? Dazu mit folgender Begründung: «Dem treuen Freund des arbeitenden deutschen Vol­kes, dem wissenschaftlichen Dolmetscher des deutschen Idealismus, dem tapferen Vor­kämpfer für deutsches Christentum.» Wie er in seiner Lebensbe­schreibung schildert, las er diese Ehrung der theologischen Fakultät der Universität Gießen vor, bevor sich das Gericht6 zur Urteilsfindung zurückzog. Die Richter sollen erblasst sein und es soll auch nicht ohne strafmildernde Wirkung auf das Urteil geblieben sein.

Die Idee, mit einer Auslegung und Neuübersetzung des Neuen Testaments zu beginnen, hatte Fuchs in der Gefängniszelle im Polizeigefängnis Alexanderplatz. Sie kam ihm aber nicht nur aus der Einsamkeit der Gefängniszelle heraus, sondern war offensichtlich auch die Konsequenz daraus, dass die Weiterführung der Wochenberichte nur noch bis zum 4. März 1933 möglich war. Die Wochenberichte wurden (unter dem Titel «Blick in den Abgrund» wieder veröffentlicht (Eckert/Fuch 2002 ). Denn diese geben, wie die Herausgeber der erneuten Veröffentlichung Wochenberichte Friedrich-Martin Balzer und Manfred Weißbecker in ihrer Einführung schreiben, den «heißen Atem der Zeit» wieder und sind eine «Fundgrube christlicher und marxistischer Urteilskraft». ( Eckert/Fuchs 2002: 11–57)

Ab März 1933 musste nach anderen Formen der Auseinandersetzung gesucht werden. Dies wurde Fuchs durch Hinwendung zu den Grundlagen seines Glaubens möglich. Sein Ringen mit dem Unerhörten, mit dem Barbarischen, das mit dem 30. Januar 1933 begann, folgt den Worten von Jesus an seine Jünger: «Siehe, ich sende Euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben» (Mt. 10,11).

Es geht Fuchs in den Wochenberichten um die Verteidigung von Demokratie, Sozialstaat und Rechtsstaat. Er verdeutlicht, wie mit den staatlichen Versuchen, die Weltwirtschaftskrise zu überwinden, den Arbeitenden die Lasten aufgebürdet werden, wie mit dem schrittweisen Abbau der Rechtsstaatlichkeit dem Faschismus der Weg bereitet wird und die Kriegsgefahr steigt. Wichtig ist festzuhalten, dass die Religi­ösen So­zialisten zu den ersten gehörten, die vor der Gefahr des Aufstiegs der Faschisten in Deutschland ge­warnt hatten.7 Dies wird besonders deutlich in den Wochenberichten, die in dem vom Bund der Religiösen Sozialisten herausgegebenen Sonntagsblatt des arbeitenden Volkes erschienen.

Eine Form des Widerstandes nach der Machtübergabe an die deutschen Faschisten, dem Verbot des Bundes der Religiösen Sozialisten und des Sonntagsblattes des arbeitenden Volkes war es für die Religiösen Sozialisten und die deutschen Quäker, bei denen sich viele der Religiösen SozialistInnen weiter trafen, andere Formen des Zusammenhaltes, des geistigen Austausches wider die Barbarei zu finden.

Werfen wir einen Blick auf das Deckblatt, welches die Tochter von Emil Fuchs, Elisabeth Fuchs-Kittowski, für die Auslegung des Neuen Testaments durch ihren Vater 1934 entworfen hat, so sehen wir als Überschrift das Wort von Jesus: «Was ihr getan habt den geringsten meiner Brüder». Darunter sieht man eine große Gruppe von Menschen, die sich zu einem Buch drängt. Einige der Menschen lesen schon, sind nachdenklich, auch bewegt, einige sehen eine Wegweisung. Darunter steht: «Das Neue Testament – Denen ausgelegt, die sich nach der Erfüllung Seiner Verheißung sehnen». (Abbildung im Geleitwort: Fuchs-Kittowski: 2012)

Emil Fuchs schreibt in seiner Auslegung zu dem auf dem Bild als Motto vorgesehenen Bibelwort:

«Zu diesem Gleichnis führen alle vorhergehenden hin. Dazu sind sie gesagt, dass wir den tiefen Ernst dieser letzten Offenbarung nicht übersehen: Daran entscheidet sich unser ewiges Geschick: Leben – Tod – Seligkeit oder Verdammnis – ob wir seine Botschaft hören und so ins Herz nehmen, dass sie zu Tat und Lebensgestaltung wird, oder ob wir in jener Gleichgültigkeit bleiben, die an dem vorübergehen kann, dessen Heiligkeit er uns enthüllt hat, dem Bruder und seinem Geschick und Sein.» (Fuchs 1933–35/2012: 530)

Weiterhin lesen wir: «Aus einem jeden Menschen, seinem Wesen und Gewissen, seiner Freude und seinem Leide ruft uns die heilige Tiefe der Ewigkeit an und fordert, dass wir uns für ihn verantwortlich fühlen. Sie ruft uns an, aus dem ungeheuren Ringen und Sehnen der Gesellschaft, der Völker, der Menschheit zu menschlicher Gestaltung zu kommen, aus der Wildheit und dem Unfrieden heraus. Sie ruft uns an aus unserem Wissen und Bedrängtwerden von einer Verantwortung für uns alle. Und wir werden gerichtet – sind gerichtet jeden Augenblick – danach, ob wir diesen Ruf der Ewigkeit hören und ihm dienen oder nicht. Nicht erst am Ende der Zeiten ist das Gericht. Es steht über jedem Augenblick unseres Lebens in seiner heiligen Größe oder selbstsüchtigen, engen Armut. Es steht über jedem Volk und jeder Zeit seiner Geschichte, ob sie eine Zeit heiligen Ringens um Wahrheit und Gerechtigkeit oder eine Zeit wilder, angstvoller Brutalität sei. Es steht über unserer Zeit, ob sie die heilige Würde der Geringsten unter seinen Brüdern begreifen will und die Gesellschaft und Wirtschaft in deren Dienst zwingen will oder nicht. Die heilige Würde seiner Brüder aber ist nicht Essen und Trinken allein, nicht nur Behaglichkeit des Lebens. Sie ist Gewissen und Freiheit, eigene Verantwortung und Überzeugung, eigene Aufgabe und Ehrfurcht vor ihr. Wer das dem geringsten seiner Brüder nimmt, steht auch im Gericht. Wer behauptet, sie seien des allen nicht fähig, der tut ihnen Schlimmeres als das, was in diesem Gleichnis Grund der Verurteilung ist. Darin aber steht die ungeheure Größe unserer Zeit, dass dies so deutlich ist wie kaum je in der Weltgeschichte. Ob sie diese Botschaft Jesu hören, davon hängt alle Zukunft der Völker ab – oder ob sie in armer Ichsucht und Lebensangst sich weiter ihr Gericht schaffen.» (Ebd.: 525–533)

An einer weiteren Stelle äußert sich Fuchs wie folgt: «‹Der Christus›, das ist der, der uns richtet – heute richtet – und immer richten wird, an dem des Menschen, der Völker, der Menschheit Schicksal zu Leben und Zukunft oder Tod und Untergang sich entscheidet. Ist Jesus der Christus, dann entscheidet sich dies Schicksal nach dem Worte: ‹Was ihr getan habt einem dieser Geringsten meiner Brüder […], was ihr nicht getan habt einem dieser Geringsten […]!› Ist der Gekreuzigte der Christus, so führt Machtwahn und Glauben an Gewalt und Gold zum Untergang – Leben ist da, wo man das Leben gibt als Opfer für die Brüder.» (Ebd.: 591)

Die Verantwortung für den Mitmenschen ist eine unbedingte Forderung an den Christen. Es gab und gibt aber eine Welt der Frömmigkeit, hebt Fuchs wiederholt hervor, die auf «ihre Verantwortung für die Gesellschaft völlig verzichtet hatte» (Fuchs 1929: 15). Für Fuchs war es «Friedrich Naumanns starker, rücksichtsloser Ruf zur Verantwortung, Verantwortung des Christen für den Bruder. Zum erstenmal wurde uns, wurde dem deutschen Volk die wirkliche Lage der Massen in der Industrie, die ganze furchtbare Entwicklung, die durch die Industrie gekommen war, gezeigt. Zum erstenmal wurde uns klar gemacht, dass die Entwicklung der Sozialdemokratie eine unbedingte Notwendigkeit war, organisatorisch und geistig bedingt aus der Lage der Massen, für die wir alle mitverantwortlich waren. Zum erstenmal wurden auch die Wahrheiten, die in der sozialistischen und marxistischen Gedankenwelt liegen, wenigstens zum Teil erkannt» (ebd.: 3). Denn Verantwortung für den Mitmenschen zu übernehmen liegt dieser sozialistischen und marxistischen Gedankenwelt zugrunde.

2.2 Zur Auslegung des Briefes des Paulus an die Römer durch Emil Fuchs – Aufruf zum geistigen Widerstand

2.2.1 Warum wendet sich Emil Fuchs der Auslegung des Römerbriefes zu?

Zu Beginn seiner Auslegung des Briefes des Paulus an die Römer schreibt Emil Fuchs: «Es ist kein Zufall, dass jede Erneuerung der christlichen Frömmigkeit im Laufe der Jahrhunderte irgendwie mit diesem Brief an die Römer zusammenhing. Wo man sich endgültig von ihm scheiden wollte, ist immer etwas von der tiefsten Kraft und Wahrheit des geistigen Lebens erloschen.» (Fuchs 1936–37/2015b: 48)

Und weiter: «Ich werde mich bei dieser Auseinandersetzung vor allem an Luther und Karl Barth halten – weil sie beide tiefgehende, starke Menschen sind. Luther ist so gewaltig und groß, dass wir nur in Ehrfurcht vor ihm und seinem Werke stehen können. Aber er ist auch so groß, dass seine Fehler und Missverständnisse die allergrößten Zerstörungen und Hemmungen in Kirche und der Entwicklung des christlichen Geistes, ja der gesamten europäischen Kultur, angerichtet haben. Wir dürfen uns nicht scheuen, klar und deutlich den Dogmatiker Luther vom Propheten Luther zu scheiden und die Verengungen wieder zu überwinden, die der mittelalterliche Dogmatiker und Politiker Luther dem Propheten Luther selbst wieder angetan hat. Karl Barth ist ein echter, christliche Wahrheit und Kraft suchender Theologe. Wenn er das nicht wäre, würde er nicht so gefährlich werden. Aber eben auch ihm gilt das, dass er, weil er viel Wahres und Notwendiges gesagt hat, nun gerade dadurch verhängnisvoll wirkt, dass er den so erworbenen Einfluss einsetzt, einer Auffassung christlicher Frömmigkeit zum Siege zu verhelfen, die sie unfähig macht, dieser Welt wirklich siegreich zu begegnen.» (Ebd.: 51)

In der Darstellung seines Gegensatzes zu Karl Barth wird sehr deutlich, mit welchem Recht wir von einer gesellschaftskritischen Theologie sprechen, die dem Menschen die Aufgabe zuweist, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, und damit die Macht herausfordert:

«Karl Barth wird mir vorwerfen, dass ich das Reich Gottes zu einer menschlichen Größe mache, die durch menschliches Tun herbeigeführt werden könne. Dadurch nehme ich ihm die Heiligkeit, die ihm als Gottes Werk zukommt. Das ist aber nur auf Grund einer Anschauung möglich, die fragen kann: ‹Was tut Gott und was tut der Mensch?› Solch eine Frage ist für mich völlig sinnlos. Es gibt nichts, was nicht Gott tut. Wer weiß, dass Gott der Allmächtige ist, weiß, dass er nur Werkzeug ist. Aber das ist das Größte an Gott, dass er uns Vergängliche zu seinen Werkzeugen bildet und uns dadurch zur Freiheit und Selbstentscheidung führt und befähigt. Durch die Offenbarung in Jesus, den wir deshalb den Christus nennen, hat er uns zu einem Werke gerufen, in dem wir als Freie, als Kinder und Freunde neben Gott treten dürfen – von ihm gerufen, von ihm dazu geschaffen und erlöst – aber eben Kinder und nicht Sklaven oder Hörige, die nur nehmen dürfen, was er ihnen zuwirft – nein wir nehmen, was wir tun und gestalten – obwohl er es tut und gestaltet – durch uns, in uns, über uns hinaus.

Gnade, Offenbarung, Erlösung ist Geschaffenwerden zu Selbständigkeit, Freiheit, eigener Verantwortung [] Wir können nicht Jünger Jesu sein, wenn wir diese unsere Verantwortung für unser Leben, unser Werkzeugsein – für die anderen – für unser Volk – für die Menschheit ablehnen und den Leidenschaften, der Angst, dem Gewaltgeist die Herrschaft ließen. Auch das würde heißen und heißt für viele ‹Christen›: da er ihn sah, ging er vorüber!» (Ebd.: 563 f.)

Wie darzustellen ist, kommt jedoch außer der Auseinandersetzung mit Luther und Karl Barth noch ein weiteres wesentliches Motiv für die Auslegung des Römerbriefes für Fuchs hinzu. Dies hängt mit der Lage in Deutschland zusammen, in dem der Faschismus nun die totale Macht ausübt, den Widerstand zerschlagen hat. Fuchs will mit seiner Auslegung des Paulusbriefes und der Versendung der einzelnen Abschnitte an die Quäkerfreunde und Religiösen Sozialisten den geistigen Widerstand gegen den Faschismus befördern. Den Aufruf zum geistigen Widerstand und den damit verbundenen Gedanken der Verantwortung des Christen für eine Neugestaltung der Gesellschaft findet Fuchs in der Botschaft des Paulus, in seiner tatkräftigen Missionsarbeit.

Verdeutlichen wir uns die Kernsätze von Emil Fuchs zur Begründung seiner Auslegung des Römerbriefes:

«In ihr ist ihr Sinn und Ziel ihrer Existenz deutlich gemacht, [] zeigt sie das innerste Sein und Wesen aller Religion und alles Menschseins in so grundlegender Mächtigkeit auf [] – Nur wo Menschen, wo eine Gesellschaft in diesen Tiefen erschüttert und aufgewühlt sind, werden ihr jene schöpferischen Kräfte geschenkt, die neue Gemeinschaft, neue Formen des geistigen Lebens, neue tiefere Wahrheitserkenntnis und Wahrhaftigkeit der Geistes- und Lebenshaltung und damit neue Wissenschaft und Kunst, neue Formen des Arbeitslebens und der Gerechtigkeit gestalten [] Daraus werden wir verstehen, dass diese abendländische Kultur zu einer äußerlichen Zivilisation entarten und in Barbarei zurücksinken muss, da die innerste Ergriffenheit von diesen Gewalten erloschen ist.» (Fuchs-Kittowski 2015b: 48)

2.2.2 Wider den dominanten Paulus-Konservatismus

Es geht Fuchs bei der Auslegung des Römerbriefes um das Verständnis des Paulus als großen Apostel unter den Heiden. Vor allem will er eine zu enge Darstellung seiner Auffassungen vom Christentum abwehren. Er führt dazu in der Einleitung aus:

«Gezwungen bin ich bei dieser Darstellung dann leider immer wieder, das abzuwehren, was mir eine Verfälschung des Paulus – wenn auch unbewusst und in bester Absicht – scheint – dies, dass man ihn zum Theologen und Dogmatiker macht, der uns vorschreibt, was wir zu glauben, wie wir uns Gott gegenüber zu verhalten, welches die rechte Lehre usw. ist. Ich werde mich bei dieser Auseinandersetzung vor allem an Luther und Karl Barth halten – weil sie beide tiefgehende, starke Menschen sind.» (Fuchs 1936–37/2015b: 50)

Mit Martin Luther wird durchgehend der prophetische Charakter des Römerbriefes herausgearbeitet und zugleich aber auch gezeigt, wo Martin Luther bei seiner Interpretation des Römerbriefes Schwächen zeigt, die ihn dann etwa in der Bauernfrage scheitern lassen. Von großer Aussagekraft ist hierzu auch die neue Luther-Biografie von Heinz Schilling (Schilling 2014).

Mit Karl Barth weist Fuchs auf die Bedeutung der Religion und der Verpflichtung der Kirche hin, für die Entwicklung einer gerechteren Gesellschaft einzutreten, um zugleich anhand der Interpretation des Römerbriefes durch Karl Barth aufzuzeigen, wo dessen Theologie seiner Ansicht nach dem nicht gerecht werden kann.

Auch gegenwärtig wird von katholischen und protestantischen Theologen intensiv über den christlichen Apostel Paulus gearbeitet. Insbesondere jüngere Arbeiten aus den USA lassen erkennen, dass die konservative Auslegung des Paulus schrittweise überwunden wird. Zu Beginn ihres Aufsatzes «Warum Paulus für die Linke(n) von Bedeutung ist» stellen Brigitte Kahl und Jan Rehmann zu Recht die Frage, ob ein solche These, wie im Titel formuliert, nicht angesichts eines nach wie vor dominanten Paulus-Konservatismus eine gewagte Behauptung ist (Kahl/Rehmann 2014).

Denn die «christliche Theologie hat sich von jeher auf Römer 13 (‹Jedermann sei Untertan der Obrigkeit›) und andere Zitate aus seinen um die Mitte des 1. Jahrhunderts u. Z. geschriebenen Briefen berufen [], um das Bild eines obrigkeitsergebenen, patriarchatstreuen, heteronormativen und judenfeindlichen Musteruntertanen im Bewusstsein der Gläubigen zu verankern [] Von Martin Luther zum Stammvater der Reformation erkoren, wurde seine Zentralidee einer ‹Rechtfertigung durch den Glauben› in der protestantischen Theologie zum inneren Vorgang zwischen individuellem Gläubigem und Gott spiritualisiert und den Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit entgegengesetzt. Die paulinische Kritik an ‹Gesetz› und ‹Werkgerechtigkeit› wurde mit Thora-Kritik gleichgesetzt und fiel damit einer antisemitischen Lektüre anheim; sie wurde darüber hinaus gegen Gegner verschiedenster Couleur – Katholiken, Heterodoxe, Moslems, religiöse Sozialisten und Feministinnen – in Anschlag gebracht» (ebd.: 1).

In seiner Auslegung des Briefes des Paulus an die Römer diskutiert Fuchs im Zusammenhang mit Römer XIII ausführlich das Verhältnis der Christen zur Obrigkeit. Es geht ihm dabei vor allem um das Verhältnis Luthers zur Obrigkeit, das sich auf dessen Interpretation der Worte des Paulus «Jedermann sei Untertan der Obrigkeit» stützt. Fuchs macht sehr deutlich, dass Luther mit seiner Interpretation dieser Worte, wenn er auch Grenzen für die Obrigkeit sieht, mit deren faktischen Heiligsprechung ihr alles erlaubt, während die Massen, speziell die Bauern, sich nicht gegen sie empören dürfen. Luther scheitert damit in der Bauernfrage. Dies auch deshalb, weil er keine Entwicklung der Gesellschaft kennt. Für Paulus dagegen ist seine in Römer III zum Ausdruck gebrachte Haltung: kein Festschreiben des Verhältnisses zur Obrigkeit, sondern eine notwendige Zurückhaltung. Denn er sieht, dass das erwartete Reich Gottes noch nicht eintritt. Für Paulus ist aber klar, dass es eine solche Entwicklung geben wird, dass diese Herausforderung der Macht Roms besteht.

Brigitte Kahl und Jan Rehmann schreiben daher weiter: «Andererseits haben sich auch immer wieder oppositionelle Bewegungen und Denker auf Paulus berufen, dessen Schreiben die ältesten Dokumente des christlichen Kanons sind (vor den Evangelien verfasst). Bereits die oft vergessene Marx’sche Bestimmung der Religion nicht nur als ‹Opium des Volkes›, sondern auch als ‹Protestation gegen das wirkliche Elend› und ‹Seufzer der bedrängten Kreatur› (Marx 1844a: 378) lässt sich über Feuerbach und den Mystiker Sebastian Frank bis zu Paulus zurückverfolgen, der im Römerbrief den Glauben an den Gekreuzigten inmitten erdrückender Hoffnungslosigkeit ansiedelte: Alles Geschaffene wurde der Nichtigkeit unterworfen, sodass es ‹seufzt und sich schmerzlich ängstigt bis jetzt› (Röm 8,20–23)» (Kahl/Rehmann 2014: 1-2).

Es wird deutlich, dass Fuchs mit seiner Auslegung des Paulusbriefes an die Römer an die oppositionellen Bewegungen und Denker, die sich auf Paulus berufen, anknüpfen und diese vertieft weiterführen will. Gerade angesichts dieser sehr widersprüchlichen Paulus-Rezeption muss er sich dabei mit Martin Luther und Karl Barth auseinandersetzen.

Wie Brigitte Kahl und Jan Rehmann betonen, ist heute das konservative Paulus-Bild durch theologische Forschungen vor allem im englischsprachigen Bereich von Grund auf infrage gestellt worden. Ein wichtiger Anfangspunkt war das Buch von Krister Stendahl «Paul among Jews and Gentiles» (Stendahl 1976; 2001). Es wäre also zu prüfen, inwieweit die von uns nun nach so vielen Jahren herausgegebene Auslegung des Briefes an die Römer durch Emil Fuchs als Vorläufer dieser Überwindung der konservativen Paulus-Darstellung gelten kann und wie weit die heutige Auslegung vielleicht noch darüber hinausgehen kann bzw. muss.

Wenn herausgearbeitet wird, wie wichtig die Beachtung der paulinischen Kritik am römischen Imperium ist, es in Deutschland dazu schon Vorläufer gab (Deissmann 1911; Taubes 1993) und in den USA heute eine gegenüber dem Imperialismus kritische Auslegung erfolgt (Horsley 1993; Jewett 1994), so entsprechen diese Grundaussagen denen von Fuchs in dessen religionssoziologischen Seminaren.8 Die Entstehung des Christentums, so betonte er immer wieder, war eng verbunden mit der Rebellion der Juden gegen die Unterdrückung durch Rom, ihrem Ringen mit der damit einhergehenden Zerrüttung ihres materiellen und geistigen Lebens. Christus war keinesfalls ein «Revolutionär» und hatte auch kein sozialpolitisches Reformprogramm (vgl. Aslan 2013; Wagner 2014). In diesem Ringen ging es um eine geistige Erneuerung.

Fuchs verwies in seinen religionssoziologischen Seminaren auch auf die gegen Rom mobilisierende und organisierende Wirkung von Paulus, die er durch seine Worte vom «Gott am Kreuz» hervorrief. Damit wurde in den von Paulus gegründeten christlichen Gemeinden das Gedächtnis an den nach römischem Gesetz hingerichteten Rebellen aufrechterhalten. Paulus geht es in der Tat um eine «anti-imperiale Gegenstrategie, die darauf abzielt, die von Rom besiegten Völker und Kulturen in einer neuen horizontalen Solidarität von unten zu verbinden» (Kahl/Rehmann 2014: 6). Aber Paulus ist kein revolutionärer Sozialreformer. Nicht zuletzt Röm. 13 und andere Ermahnungen zeigen, dass er einen jüdischen Aufstand gegen Rom und eine katastrophale Niederlage erahnt und daher davor warnt.

«Die Spezifik seiner anti-imperialen Theologie liegt vielmehr in einer radikalen Transformation, die die symbolische Ordnung des Römischen Reiches umkehrt. Sein Glaubensbegriff stellt einen subversiven Eingriff in die ideologischen Abhängigkeits verhältnisse des römischen Reiches dar: Die Loyalität wird von den Herrschaftsträgern der Pax Romana auf den gekreuzigten Christus umgepolt. Der Glaube wechselt seinen gesellschaftlichen Ort: vom Kaiser und seinem ideologischen Kosmos zur Gegenseite des ‹Kreuzes›, dem Instrument der verächtlichsten Hinrichtungsart, die speziell für entlaufene oder aufsässige Sklaven vorgesehen war. Das Stigma des Kreuzes sowie seine Überwindung durch die Auferstehung wird nun zum Charisma einer ausgreifenden neuen Bewegung.» (Kahl/Rehmann 2014: 7)

Hiermit kommen wir an den entscheidenden Punkt zur Beantwortung unserer eingangs gestellten Frage, warum sich Fuchs 1935/36 der Auslegung des Briefes an die Römer zuwendet und nicht die Auslegung der Evangelien fortsetzt. Da ist die bedeutsame Ähnlichkeit im Kräfteverhältnis, in dem Paulus wirksam ist, und der Lage, in der sich Fuchs 1935/36 befindet. Was kann man tun, wenn große Massen von einer überlegenen Militärmacht überwältigt sind, sodass ein direkter Angriff auf die Machtzentren nicht möglich ist?

Dies wird besonders deutlich in den letzten Abschnitten der Auslegung des Paulusbriefes durch Fuchs:

«Aber der Gedanke an die Zerstörung Jerusalems lässt uns noch ein Weiteres – fast Größeres ahnen, das den Apostel trieb, diese Reise zu machen und sich noch einmal den Juden zu stellen. Lesen wir Kapitel X und XI des Römerbriefes, so wissen wir, dass sich Paulus ganz klar war, dass das Schicksal der Völker – der Juden sowohl wie der Heiden – an ihrer Stellung zu diesem Christus hing. Er hoffte, dass eine große Bekehrung des jüdischen Volkes zu Jesus als dem Christus die Wendung in dessen Schicksal bringen werde. Dann wird auch das Schicksal der Welt sich lösen und das Reich kommen. Das alles ist ihm ja nicht eine ferne, sondern ganz nahe Zukunft. Sollte er nicht gehofft haben, dass sein Erscheinen in Jerusalem ein Signal zur Entscheidung für dies Volk werde?» (Fuchs 1936–37/2015b: 604)

Es heißt dann weiter: «Stellen wir uns heute vor, Paulus hätte mit dieser Hoffnung Erfolg gehabt, – welch eine Wucht hätte alle christliche Verkündigung gewonnen, hinter der ein ganzes jüdisches Volk entschlossen stand, das sein Volksleben nach ihr einrichtete, das seinen Daseinskampf als Volk nicht mehr als einen Kampf mit der Waffe, sondern als einen Kampf mit den geistigen Mitteln dieser Erneuerung und der aus ihr werdenden tiefen Gemeinschaft führte? – Mit einem solchen sich erneuernden jüdischen Volke als Kern wäre es unmöglich geworden, dass die Kirche sich von Konstantin hätte missbrauchen lassen. Das ganze Einströmen heidnischer Verwahrlosung, das dorthin führte, wäre eben unmöglich gewesen. Palästina wäre Mittelpunkt einer völlig andern Gesellschaftsbildung geworden, ein Konstantin unmöglich.» (Ebd.: 604 f.)

Diese religiös begründete, den Konservatismus überwindende Sicht hatte sich Emil Fuchs schon erarbeitet, als er sich in jungen Jahren mit seiner Lizentiatsarbeit über Schleiermachers Religionsbegriff der Traditionslinie Fichte, Schelling, Schleiermacher zuwandte. Wie für Schleiermacher haben auch für Fuchs Religion und Frömmigkeit besondere Bedeutung für die Bewältigung der Lebensaufgaben. So schreibt er in seiner Auslegung des Römerbriefes:

«Es gehört zu den größten Aufgaben der Frömmigkeit, dass sie Menschen von dieser Befangenheit erlöst und so eine Gruppe von Arbeitenden schafft, die imstande sind, die Nöte zu sehen, die Aufgaben zu schauen und vorurteilslos kraftvoll der Lösung entgegenzuführen. Solche Frömmigkeit wird auch erlösen von der Bitterkeit, die in denen entstehen muss, die von der Gesellschaft getroffen werden – und in denen, die an ihrer Überwindung arbeiten und dafür den Hass der in ihrem Interesse Befangenen ernten. Gerade die innere Freiheit wird auch den Blick schärfen und die klare Gerechtigkeit geben, in der wir die innere Notwendigkeit all dieser Haltungen und Kämpfe erkennen. So werden wir nicht mit dem Richten einzelner Menschen uns abgeben, sondern auch den Gegner als Opfer seiner gesellschaftlichen Befangenheit sehen und in tiefem Mitleiden ihn von dem zu befreien suchen, was ihn von der geistigen Kraft scheidet, die auch seine Erlösung wäre.» (Ebd.: 566)

An anderer Stelle lesen wir: «Verstehen wir dies Mahnen des Paulus? Dass christlicher Glaube entscheidende Gestaltungskraft des Lebens der Einzelnen, der Völker werde, weil er ein Suchen und Sehnen und Sichstrecken nach Heiligung ist. – Wer frei ist von der Sünde, dessen Glieder sind Diener der werdenden Gerechtigkeit.» (Ebd.: 231)

Die Auslegungen des Neuen Testaments durch Fuchs, die er während der Herrschaft des deutschen Faschismus erarbeitet hat, die Auslegung des Matthäusevangeliums, die Auslegung des Briefes des Paulus an die Römer wie auch die von uns noch herauszugebenden Auslegungen der weiteren Evangelien sind in ihrer tiefen Religiosität, in ihrem theologischen Gehalt grundlegende Kampfansagen an die Macht, sie sind Schriften, die geistig und organisatorisch den entschiedenen Widerstand gegen den deutschen Faschismus stützen.

Emil Fuchs schreibt, Bezug nehmend auf seine Arbeit an der Auslegung des Neuen Testaments in der Afrikanischen Straße Nr. 140 b in Berlin – an dem Ort, an dem wir mit der Familie Poelchau wohnten: «So standen wir trotz aller Stille des Lebens in leiden­schaftlichem Erleben des Geschehens ja wohl in einem Mittun an dem, was in Deutschland in geheimem Widerstand geweckt und gestärkt werden konnte. War doch mein Zimmer immer auch Werkstatt, wo die Auslegung des Neuen Testaments erar­beitet, vervielfältigt und später getippt und versandt wurde.» (Fuchs 1959b: 254 f.)

Nach dem Tode meiner Mutter dann in Berlin-Mariendorf erinnere ich mich noch sehr gut daran, dass, wenn eine Sendung fertig war, mein Großvater und ich durch Berlin fuhren und verschiedene Briefkästen aufsuchten, damit die Sendung verteilt wurde und so der Gestapo nicht auffallen würde. Emil Fuchs hat bis Kriegsende, also dann auch während unseres Auf­enthalts in dem Alpendorf in Vorarlberg, Gortipohl, an seiner Auslegung des Neuen Testaments gearbeitet.

Nachdem Fuchs unter Androhung von KZ-Haft ein endgültiges Druckverbot erhal­ten hatte, begann er, «die Auslegung mit der Schreibmaschine durchzuschlagen. Das waren keine Drucksachen! Wer konnte auf den Gedanken kommen, selbst wenn eine Sendung gefunden wurde, dass ich monatlich 200 Mal je sechzehn Seiten durchtippte! Es war eine schwere Arbeit. Oft hatte ich sehr wunde Finger. Aber es ging, und ich konnte den Freunden den Dienst weiter leisten, weiter reisen und weiter wirken», schreibt Emil Fuchs in seinen Le­benserinnerungen . «Es kamen sogar noch meine Lebensbeschreibung und Andachten hinzu. Vorhanden sind jetzt als Auslegungen des Matthäusevangeliums, der Römerbrief (Auseinandersetzung mit Karl Barth), das Johannes-, Markus-, Lukas­evangelium, der erste Korintherbrief und die Apostelgeschichte.» (Ebd.: 245)

  1. Zum Ringen von Emil Fuchs gegen Faschismus für Frieden und soziale Gerechtigkeit

3.1 Antifaschismus aus christlicher Verantwortung

Der Theologe Emil Fuchs, der auch Quäker und Mitbegründer der Religiösen Sozialis­ten in Deutschland war, der schon 1921, als einer der ersten Pfarrer, Mitglied der SPD geworden war, schloss sich der Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker) an, de­ren Pazifismus er teilte und deren geistiger Führer er während der Nazizeit wurde. Nach der Machtergreifung durch Hitler 1933 verlor er seine Professur in Kiel, da er sich öffentlich in das Eiserne Buch, der Kampfansage der SPD gegen Hitler, eingetragen hatte. Im Jahre 1934, nach seiner Entlassung und der Relegation seiner Söhne Gerhard und Klaus Fuchs (1957; 1959b). von der Berliner Universität aufgrund ihrer politischen Aktivitäten und der Emig­ration von Klaus nach Großbritannien, gründete er einen Autoverleih. Gerhard Fuchs und Gustav Kit­towski brachten mit diesen Autos politisch und rassisch Verfolgte über die Grenze, bis die Autos und die Tankstelle von der Ges­tapo konfisziert und Gustav Kittowski verhaftet wurde (vgl. Bundesarchiv: Geheimes Staatspolizeiamt o. J.). Gerhard Fuchs musste schon zuvor nach Prag flüch­ten. Die Kinder von Emil Fuchs, Klaus, Gerhard und dann auch Christel, mussten nacheinander das Land verlassen; seine Schwiegertochter Katharina Fuchs wurde verhaftet und zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt. Sie war bei ihrer Gefangennahme schwanger und gebar 1936 ihr Kind Jürgen im Gefängnis Tegel.

Sein Schwiegersohn Gustav wurde zu sechs Jahren Zuchthaus/KZ verurteilt.9 Seine Tochter Elisabeth verübte infolge des faschistischen Terrors Selbst­mord. Sie hatte zuvor noch ihrem Mann, Gustav Kittowski, zur Flucht aus dem Kon­zent­rationslager verholfen. Sie wusste aber nicht, ob die Flucht gelungen war.

Es ist hier insbesondere auf die Zusammenarbeit von Emil Fuchs mit den Religiösen Sozialisten Harald Poelchau, Ernst von Harnack10 und Bernhard Göring einzugehen,11 die als Mitglieder des Kreisauer Kreises dem Geschehen vom 20. Juli 1944 nahestanden, sowie auf den tapferen Helfer vieler jüdischer Flüchtlinge, Pfarrer Arthur Rackwitz.

Pfarrer Arthur Rackwitz hielt viele politisch und rassisch Verfolgte in seiner Wohnung, im Pfarrhaus von Berlin-Neukölln, verborgen und verhalf ihnen zur Flucht. Klaus Fuchs, der in Lynchjustiz von den Kieler Nazi-Studenten zum Tode verurteilt nach Berlin geflohen war, wurde von Pfarrer Rackwitz aufgenommen. Ebenso mein Vater, Gustav Kittowski, nachdem ihm die Flucht aus dem Konzen­trationslager gelungen war, bis er weiter nach Prag fliehen konnte.

Bekannt geworden ist insbesondere, dass Arthur Rackwitz den Religiösen Sozialisten Ernst von Harnack nach dem Scheitern des 20. Juli 1944 verborgen hielt, bis dieser dort von der Gestapo entdeckt und am 3. März 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde. Arthur Rackwitz wurde aufgrund der Hilfe für Ernst von Harnack ins Konzentrationslager Dachau verbracht.

Ernst von Harnack war von Beginn an der Formierung des 20.-Juli-Kreises beteiligt und bildete eine entscheidende Verbindung zwischen den bürgerlichen VertreterInnen des Widerstandes und den Widerstandsgruppen der Arbeiterbewegung. Hierzu sind die Ausführungen von Emil Fuchs in seiner Autobiografie interessant und aufschlussreich:

«Ich führte die Verbindung mit meinen SPD-Freunden weiter. Es war vor allem Bernhard Göring und sein Kreis illegaler Arbeit, zu dem ich gehörte. Doch auch Ernst von Harnack und sein Kreis standen mir nahe, sodass ich oft den Vermittler von Nachrichten zwischen ihm und Bernhard Göring machen konnte. Durch ihn erhielt ich Mitteilung über das, was man im Kreis des 20. Juli gegen Hitler plante. Hier konnte ich nur warnen. Ich sagte zu Harnack, dass ich es für geschichtlich sinnlos hielte, zu glauben, es sei durch ein Attentat zu ändern, was auf so viel falschem Geist der Massen begründet sei. Ich weiß, dass ich einmal ihm gegenüber das Bild gebrauchte. ‹Wenn es um Werke des Teufels geht, seid euch klar, dass der Teufel für sein bestes Instrument eintritt.› Daneben schrieb ich weiter meine Auslegung des Neuen Testaments und besuchte meine Freunde überall in Deutschland. Wie ich dies im Ringen mit der Reichschrifttumskammer und der Gestapo trotz dauernder Überwachung durchführte, ist geschildert.» (Fuchs 1959b: 263)

Fuchs war also ein Verbindungsmann zwischen den beiden Widerstandsgruppen. Wenige Tage nach dem Attentat auf Hitler fanden bei uns zu Hause, jetzt in Gortipohl in Vorarlberg, zwei Hausdurchsuchungen statt. Ich erlebte mit, wie Fuchs zweimal einem strengen Verhör unterzogen wurde. Er war der Meinung, dass er dabei sehr ruhig geblieben sei. Dagegen konnte ich sehen, dass er zumindest einen sehr roten Kopf hatte. Erst später erklärte er mir, dass er aufgrund der Verbindung zu Bernhard Göring und Ernst von Harnack in der Tat die schlimmsten Befürchtungen gehabt hatte.

Es entspricht ganz seiner Haltung, dass er im Gespräch mit Ernst von Harnack mit der Ablehnung eines Attentates auf den «falschen Geist der Massen» und auf seine Arbeit an der Auslegung des Neuen Testaments und seine Reisen zu den Quäkern und Religiösen Sozialisten verweist. Er folgt damit genau dem, was er bei der Auslegung des Römerbriefes als das entscheidende Anliegen des Paulus herausarbeitet. Die Warnung des jüdischen Volkes, in hoffnungsloser Lage zu den Waffen zu greifen und die Notwendigkeit der Organisation einer geistigen Erneuerung, der Förderung des geistigen Widerstandes, um die Herrschaft der Römer zu brechen.

In ihrer Einführung zu «Blick in den Abgrund» (Eckert/Fuchs 2002), der Neuausgabe der von Erwin Eckert und Emil Fuchs bis zum Unter­gang der Weima­rer Republik verfassten Wo­chenberichte, heben Friedrich-Martin Balzer und Manfred Weißbecker hervor, dass die Verfas­ser dieser Wo­chenberichte und mit ihnen viele der Religiösen Sozialisten12 und der deutschen Quä­ker die Gefahr des deutschen Faschismus früher sahen als die etab­lierten Parteien und die meisten ihrer Politiker. Man muss sich in der Tat fragen, wo­durch sie beson­ders sensibilisiert waren. Entscheidend ist sicher die sittliche Haltung, die hinter sämtlichen Aktivitäten stand. Sie war bei Fuchs insbesondere ge­prägt vom Christentum und von dem Erleben der Arbeiterschaft und der sie bewegen­den geistigen Kraft des Marxismus. Sie war geprägt von den Grundgedanken des Quä­kertums, wie sie insbe­sondere von ihrem Begründer, Georg Fox, entwickelt worden wa­ren. Es ist vor allem der Gedanke an das innere Licht in einem jeden Menschen, den er von Fox aufnimmt und weiterzutragen beginnt (Fuchs 2006). In der hier vorgelegten «Auslegung des Matt­häusevangeliums», wird jeder Abschnitt mit entspre­chenden Aussagen von George Fox unterlegt.13

Welche Bedeu­tung diese Vermittlung für die Quäker (vgl. Schmitt 1997) und ihnen nahestehende Antifa­schistInnen in der Nazi­zeit gewinnt, schildert der Gefängnispfarrer von Tegel und Plötzen­see sowie Mitglied des Kreisauer Kreises, Harald Poelchau (vgl. Harpprecht 2004) sehr bewegend:

«Was ich in diesen Jahren der Verfolgung bei Dir erfuhr, war mehr als gesell­schaftliche Anschauung und griff tiefer als eine theologische Lehre. Wenn wir verwirrt und zerrissen, müde und resigniert über den Er­folgen der Verächter der Menschlichkeit in die schweigende Andacht der Quäker-Freunde kamen, zu den Menschen, denen ich wenigstens ohne Gefahr einiges aus meiner Erfahrung als Gefängnispfarrer erzählen und mich aussprechen konnte, dann richteten uns Deine Worte auf, die nicht schalten oder klagten, die aber unbeirrt und unbeirrbar für die verfolgten Juden, für das Recht und die Achtung anderer Völker und gegen die propagierten Irrlehren eintraten.» (Poelchau 1964: 119–121)

In ebendieser Zeit beginnt Fuchs mit der Auslegung des Neuen Testaments. Es ist also anzunehmen, dass hier auch die Gedanken ausgesprochen werden, die Fuchs in den Andachten der Quäker in der Planckstr. 20 vorgetragen hat, die Poelchau so bewegt und geholfen haben. Poelchau musste als Gefängnispfarrer vielen aufrechten AntifaschistInnen und ihren Familien helfen, er musste später die Männer des 20. Juli wie auch Mitglieder der Roten Kapelle und viele andere zur Hinrichtung begleiten. In seinem Buch «Die Ordnung der Bedrängten» schreibt er: «Eine große Hilfe war uns beiden [ihm und seiner Frau], besonders in den Jahren des Zusammenbruchs der menschlichen Traditionen 1933 und 1934, die Freundschaft der Quäker. Sie hielten unbeirr­bar an ihrem Grundsatz des inneren Lichts in jedem Menschen fest, verzweifel­ten nicht an der menschlichen Ansprechbarkeit auch der Vertreter der Gewaltmethoden und erreichten damit viel Linderung, selbst in den KZ’s. Sie hielten ihr Meeting for suffe­rings und nahmen sich grundsätzlich der verfolgten Juden an, während unter den Mit­gliedern und Pfarrern mei­ner eigenen evangelischen Kirche das immer nur einzelne taten und die offizielle Kirche sich sogar zur Annahme eines Arierparagraphen für die Geistlichen verstieg. Von großer Bedeu­tung wurde uns der damalige geistige Führer der Quäker, der Theologe Emil Fuchs, der mit unerschütterlicher Gelassenheit, ohne Verbitterung Gefängnis und Tod seiner Kinder und eigene Verhaftung ertrug und uns bei den Andachten der Quäker im Hinweis auf die innere Stille bei George Fox und John Woolman die rechte Einstellung in dieser Zeit gab.» (Poelchau 2004: 105 f.)

Dies zeigt sehr deutlich die Situation, in der Fuchs begann, an seiner «Auslegung des Neuen Testaments» zu arbeiten, welche politisch-moralische Haltung er damit vermitteln wollte. Zugleich war es eine Zeit schwerer persönlicher Schicksalsschläge, die er ertragen musste.

Verfolgen wir die Frage weiter, wodurch Fuchs und die, die zu ihm standen, so beson­ders sensibilisiert gegenüber dem aufsteigenden Faschismus waren, so zeigt sich, dass dies vor allem dem Maßstab geschuldet war, der an die gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Entwicklung angelegt wurde. Fuchs bekämpfte schon als Pfarrer in Rüs­selsheim und Eisenach eine Theologie der Anpassung. Kennzeichnend für diese war, dass sie gegenüber Wirtschaft und Politik die Konzeption einer «Eigengesetzlichkeit» vertrat. Demnach könne man ihnen aus biblischer oder human-ethischer Sicht nicht entgegentreten. Die christliche Ethik wurde damit auf den Individual- und Familienbe­reich eingeschränkt, während man damit zugleich für das öffentliche Leben erklärte: «Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren.» Somit werden Ausbeutung und Krieg als für immer gegeben, als unveränderlich dargestellt. Dies bedeutet für Fuchs eine intellektuelle und moralische «Kapitulation vor der Unmenschlichkeit der ‹Strukturen›, wie man heute sagt, der spätbürgerlich-imperialistischen Sozialordnung» (Trebs 1969: 169).

So gab es letztlich keinen Maßstab, an dem das Bestehende kritisch zu beurteilen, und keinen Ansatzpunkt, von dem aus es revolutionär zu verändern wäre. Fuchs lehnte eine passive Interpretation der Wirklichkeit ab, die auf eine fatalistische Hinnahme der Unmenschlichkeiten hinausläuft. Er suchte nach einer philosophischen Grundlage, die ihm Maßstäbe zur Gesellschaftskritik und Mittel zur Veränderung der Gesellschaft ge­ben konnte. Eine solche Grundlage erarbeitete er sich selbst, die ihn auf die Tradi­tionslinie «Kant, Fichte und Schleiermacher zurückgreifen ließ» (ebd.: 172). Er entschied sich damit für eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft. Das entscheidende Mittel zur revolutionären Umgestaltung sah er in der Volksbildung. So wurde er einer der Wegbereiter der Volkshochschulbewegung in Rüsselsheim und Eisenach. In Rüssels­heim brachte man aus diesem Grunde mitten im Kalten Krieg eine Ehrentafel an der Biblio­thek der Volkshochschule an; nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wurde ein großer Platz in Rüsselsheim nach ihm benannt.14 In Anerkennung seiner Gesamtleistung wurde sein Grab in Berlin zu einem Ehrengrab der Stadt.

Schon bei Schleiermacher finden sich aus humanistischer Sicht und christlicher Ethik Elemente einer Kritik an Missständen des Kapitalismus. Mit seiner Volksbildungsarbeit insbesondere unter der Arbeiterschaft in den Industriegemeinden in Rüsselsheim und Eisenach wurde Emil Fuchs unmittelbar in die sozialen Kämpfe jener Zeit einbezogen. In seinem berühmt gewordenen Artikel «Von Schleiermacher zu Karl Marx» (Fuchs 1929/1969) in der Zeit­schrift für Religion und Sozialismus schildert er den Zusammenhang zwi­schen dem Rückgriff auf Schleiermacher und seiner Volksbildungsarbeit.

Für den heutigen Leser ist hier anzumerken, dass damals wesentliche Schriften des Marxismus noch weitgehend unbekannt waren. Stolz erzählte mir Emil Fuchs immer wieder, dass es die Religiösen Sozialisten waren, die den jungen Marx entdeckten – so die Schriften, die unter dem Titel «Die Heilige Familie» publiziert wurden. Die «Dia­lektik der Natur» von Friedrich Engels wurde erst in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts publiziert und blieb weitgehend unbekannt. So spricht auch Fuchs vom Materialismus nur im Sinne eines mechanischen Materialismus, im ethischen Sinne von einem Vulgärmate rialismus. Daher kann für ihn nur eine idealistische Philo­sophie die gedankliche Grundlage für eine an gesellschaftlichen Idealen orientierte ge­sellschaftliche Veränderung sein, die über den primitiven bürgerlichen Egoismus hi­nausführt.

Diese Auffassung von Marxismus von 1929, die zu enge, vorrangige Orientierung auf Veränderung durch Volksbildung, wie sie auch in seiner «Auslegung des Neuen Testaments» von 1933–1945 hervortritt und in der gleichzeitig begonnenen Autobiografie noch nachklingt, hat Fuchs in seinen Büchern «Marxismus und Christentum», «Christliche und Marxistische Ethik» und «Christlicher Glaube» korrigiert (Trebs 1969: 174).

Mit seinem Ringen gegen den deutschen Faschismus wurde zuvor schon auf die Verbindung von Fuchs mit der illegalen Arbeit von Harald Poelchau, Ernst von Harnack und Bernhard Göring hingewiesen. Bisher kaum erwähnt wurde die Tatsache, dass er auch in dem Alpendorf Gortipohl/St. Gallenkirch die illegale Arbeit nicht aufgab, sondern Verbindung zum Obmann der Widerstandsbewegung im Mantafontal, dem Schuster Stefan Spannring, aufnahm. Mitglieder dieser Widerstandsgruppe verhalfen erfolgreich jüdischen Menschen zur Flucht in die Schweiz 15 und verhinderten sinnlose Zerstörungen etwa der Stauseen der Ill-Werke im Kampf um die sogenannte Alpenfestung.

Nach der Rückkehr nach Deutschland im Herbst 1945 musste sich Emil Fuchs einem Entnazifizierungverfahren stellen. Dazu schrieb ihm der Obmann der Widerstandsgruppe Stefan Spannring16 folgendes Zeugnis:

«Demokratische – Österreichische Widerstandsbewegung St.Gallenkirch

Professor Dr. Emil Fuchs wohnt seit September 1943 hier und ist mir seitdem bekannt. Er hat sich immer als ein energischer Gegner der nationalsozialistischen Bewegung gezeigt.

Der Obmann»

  1. Emil Fuchs – Christ und Sozialist

4.1 Aktiv in politischen Organisationen – ein Christ, der Sozialist ist

Emil Fuchs schrieb 1925 seine Schrift «Die Kraft des Sozialismus» (Fuchs 1925). Vor mir liegt eine weitere alte Schrift von Fuchs zu diesem Thema: «Predigten eines religiösen Sozialisten», die 1928 erschienen ist. Das Vorwort ist unterzeichnet mit Emil Fuchs – Pfarrer zu Eisenach (Fuchs 1928). Fuchs engagierte sich in dem 1926 von ihm mit gegründeten Bund der Religiösen Sozialisten, in dem er lange Zeit als Vorstandsmitglied tätig war. Schon 1921 war er als einer der ersten Pfarrer Mitglied der SPD geworden. Er war Landesvorsitzender des Bundes der Religiösen Sozialisten in Thüringen. Von 1926, dem Jahr der Gründung des Bundes der Religiösen Sozialisten Deutschlands, bis 1933 war er Mitglied des Bundesvorstandes.17

Er war einer der Theologen, die christlichen Glauben und marxistische Einsichten in die Gesellschaftsentwicklung miteinander zu verbinden suchten, die als Christen ebenfalls Sozialisten sind. Wichtig ist festzuhalten, dass die Religiösen Sozialisten zu denen gehörten, die gemeinsam mit SPD und KPD sowie Intellektuellen im Umkreis der von Carl von Ossietzky herausgegeben Zeitschrift Die Weltbühne schon früh vor der Gefahr des Faschismus in Deutschland gewarnt hatten.18

Auf dem 5. Bundeskongress der Religiösen Sozialisten im Jahre 1930 wurde die Erklärung des Bundes gegen den Faschismus (Bund gegen den Faschismus 1930: 261 f.) verabschiedet. Fuchs verfasste die Leitsätze «Der Faschismus – eine Gefahr für das Christentum» (ebd.: 262). Im gleichen Jahr erschien der Mahnruf des Landesverbandes Thüringen «Noch ist Zeit» (Religiöse Sozialisten/Landesverband Thüringen 1930). Geradezu atemberaubend sind die wöchentlichen Berichte von Fuchs im Bundesorgan der Religiösen Sozialisten vom 1. November 1931 bis zum 4. März 1933 (vgl. Eckert/Fuchs 2002). Die Religiösen Sozialisten, deren führender Repräsentant Fuchs geworden war, zeigten also eine besondere Sensibilität gegenüber der Gefahr des Faschismus, die offensichtlich auf die Kinder Elisabeth, Gerhard, Klaus und Christel übertragen wurde.

Entscheidend war, wie schon ausgeführt, die sittliche Haltung, die zu diesem entschiedenen Widerstand gegen die Barbarei führte. Sie war bei Emil Fuchs begründet im Christentum, insbesondere auch im Glauben der Quäker an das innere Licht in einem jeden Menschen (Fuchs 1939) sowie im Erleben der Kämpfe der Arbeiterschaft und der sie bewegenden geistigen Kraft des Marxismus.

Nach der Befreiung vom Faschismus, der Rückkehr von Fuchs aus Gortipohl (Montafon) nach Frankfurt am Main wirkte er als Leiter der dortigen Quäkergruppe sowie in vielfacher Vortragstätigkeit für die Sozialdemokratie. Er bemühte sich intensiv um die erneute Organisierung der Religiösen Sozialisten. In dieser Zeit wurde von ihm die Schrift «Leonhard Ragaz – Prophet unserer Zeit» publiziert (Fuchs 1946).

Vor mir liegt auch die letzte umfassende Arbeit von Emil Fuchs, die er 1965/66, nun schon im hohen Alter von 91, 92 Jahren, zunächst bei uns in Berlin, mit tatkräftiger Unterstützung von Marlene Fuchs-Kittowski, und dann in Dresden, bei seinem Sohn Klaus Fuchs, mit Unterstützung von dessen Frau Grete Fuchs, geschrieben hat. Dieser Artikel, der für den von Karlheinz Deschner herausgegebenen Sammelband «Jesusbilder in theologischer Sicht» geschrieben wurde, trägt den bezeichnenden Titel «Jesus von Nazareth im Glauben eines Christen, der Sozialist ist» (Fuchs 1966).

In der Einleitung zu diesem Artikel schreibt Fuchs: «Durch Jahrzehnte bewegen mich diese beiden Fragen und bewegt mich die sehr ernste Sorge, dass sie in und von der Christenheit nicht ernst und wahrhaftig gestellt werden. Gerade weil ich ein Christ bin, d. h. ein Mensch, der ein Jünger dieses Jesus von Nazareth sein will – nein – sein muss, bin ich gezwungen, die Fragen sehr rücksichtslos gegen mich und andere zu stellen. Als sein Jünger bin ich ja immer gefordert, Menschen in seine Nachfolge zu rufen.

Als Sozialist werde ich täglich darauf gestoßen, wie unendlich vielen Menschen jeder Zugang zu ihm fehlt. Er ist ihnen so fern gerückt, dass sie nicht einmal aufhorchen, wenn sie seinen Namen hören – im Gegenteil oft gerade dadurch veranlasst werden, sich abzuriegeln.

Wer aber erfahren hat, dass dieser Jesus eine lebendige und Leben wirkende Kraft in seinem Leben wurde, der ist sicher, dass sie alle den tiefsten Sinn ihres Lebens finden können, wenn sie die Verheißung hören, die in ihm über jeden Menschen und die Menschheit gestellt ist.

Alle Verkündigung der Kirchen weist die Menschen zu dieser Kraft. Aber da sie die beiden Fragen nicht in voller Klarheit stellen, sind sie nicht imstande, den Menschen den in voller Klarheit zu zeigen, in dem dies alles lebendige Kraft war und ist, dessen Wesen und Wort, als Wort in seiner Zeit und zu seiner Zeit verstanden, uns lebendig wird als Wirken und Wort zu unserer Zeit. – Denn er lebte in einer hundertmal einfacheren Zeit und kindlicheren Verhältnissen – wenn man so sagen darf –, aber in einer radikalen Umwälzung der Gesellschaft, und stand einer radikal zerstörenden Macht menschlichen Machtwahnes und menschlicher Habgier gegenüber – wie heute wir.

Demgegenüber kündete er eine Zielsetzung, die der Schöpfer dem Menschen und der Menschheit gab, die sie ergriff. Ist das wahr? – Kann das uns heute wirklich Wahrheit werden? Darum geht es in diesem Aufsatz.» (Fuchs 1966: 69 f.)

Hier wird sehr deutlich, dass, wenn Fuchs von sich als Christ, der Sozialist ist, spricht, es ihm als Christ um eine «radikale Umwälzung der Gesellschaft» geht, denn auch Christus «stand einer radikal zerstörenden Macht menschlichen Machtwahnes und menschlicher Habgier gegenüber». Es geht ihm deshalb vor allem darum, dass die Christenheit die Botschaft Jesus ernst und wahrhaftig vertritt, damit auch diejenigen, die sich von ihr abgewandt haben, wieder von ihr ergriffen werden. In diesem Sinne wendet er sich auch in dem hier angeführten Artikel mehrfach Paulus zu:

«Es werden eben die ergriffen, die innerlich schon von ihm bewegt sind, andere – wie Paulus – werden von der Macht seiner Ursprünglichkeit und Unbedingtheit bezwungen. Sie müssen die tiefe, dem gesetzlichen Denken überlegene Wahrheit dieser Botschaft anerkennen. Der Galaterbrief des Paulus ist uns das stärkste Zeugnis dieser inneren Umwandlung, in der Paulus von der Kunde Jesu ergriffen wurde. Sie gewann eine solche Macht über ihn, dass er ihr sein Leben opfern musste und keine Gefahr scheute, sie andern zu bringen. Das ist das Zeugnis des Jona, das sich wandelt in eine dem Betreffenden von außen gegenübertretende Wirklichkeit. Ihm ist es wirkende Wirklichkeit, für jeden andern bleibt es Utopie, wenn ihn nicht auch ihre umwandelnde Kraft bezwingt.

So wird auch bei Paulus am klarsten gesehen, was in diesem Jesus das Gewaltige, Erschütternde ist – der Gegensatz zum Gesetz und die wundersame Freiheit der Liebe. Sie erkennt über jedem Menschen die Verheißung Gottes.» (Fuchs 1966: 69 f., 100 f.)

Wenn sich also Fuchs, statt seine Auslegung der Evangelien fortzusetzen, zunächst dem Römerbrief des Paulus zuwendet, dann ist es vor allem die tiefgehende Vorbildwirkung von Paulus, der so ergriffen war, dass er sein Leben opfern musste und keine Gefahr scheute, diese erschütternden Gedanken anderen zu bringen. Dies gewann für das eigene Leben der Christen und Sozialisten, für Emil Fuchs und Harald Poelchau wie für die anderen Religiösen Sozialisten mit der Machtübertragung an die deutschen Faschisten besondere Bedeutung.

Vergleicht man nun die beiden Schriften, die «Predigten eines religiösen Sozialisten» des Pfarrers zu Eisenach von 1928 mit der Schrift des emeritierten Professors für Religionssoziologie «Jesus von Nazareth im Glauben eines Christen, der Sozialist ist» von 1966 zu Berlin und Dresden, so liegt dazwischen fast ein halbes Jahrhundert, ein durch viel Leid geprüfter Lebensweg, verbunden mit einem Reifungsprozess und einer Festigung der Überzeugungen. Beide Schriften unterscheiden sich im Stil: Die eine ist eine Sammlung von Predigten, die andere ein Artikel in einem wissenschaftlichen Buch, sie unterscheiden sich aber sicher nicht in der tiefen Frömmigkeit ihres Verfassers. Sie differieren jedoch vor allem hinsichtlich dessen, was sich Fuchs mit der Arbeit an der Auslegung des Neuen Testaments und insbesondere des Briefes des Paulus an die Römer an theologischem Fundament geschaffen hat sowie darin, dass er sich in der Zeit seines Wirkens in der DDR ein noch tieferes Verständnis des Marxismus erarbeitet hat.

ChristInnen und MarxistInnen können und sollten auf der Grundlage gemeinsamer humanistischer Werte bei der Neugestaltung der Gesellschaft zusammenarbeiten, auch wenn zwischen ihnen ein grundlegender Unterschied im Verständnis des Wesens des Menschen, dem bewussten Folgen des Rufes Gottes, besteht.

4.2 Der Kategorische Imperativ von Karl Marx

Emil Fuchs berichtete mehrfach, dass es die Religiösen Sozialisten waren, die mit als Erste die Frühschriften von Marx und Engels entdeckten und ihre Bedeutung gerade für die Zusammenarbeit von Christen und Marxisten erkannten. Nun lernte ich im Philosophie studium, dass scharf zwischen dem jungen und dem reifen Marx zu unterscheiden sei. Als ausgereift galt Karl Marx ab der «Deutschen Ideologie», da hier klar in der Grundfrage der Philosophie unterschieden wurde und die Arbeiterklasse als der Träger des revolutionären Gedankens erkannt worden war. Vollständig entwickelt sei aber erst der Marx des «Kapital», der nun als Ökonom und nicht mehr als Philosoph und noch weniger moralisch, ethisch diskutiere. Dem widersprach Fuchs heftig, indem er deutlich machte, dass auch das «Kapital» ohne die ethische Grundhaltung von Marx, die in der Tat in den Frühschriften erarbeitet wurde, gar nicht denkbar sei. Nun ist natürlich klar, dass jeder Wissenschaftler eine Entwicklung durchmacht, dass insbesondere eine so grundlegende Philosophie wie die von Karl Marx nicht von Beginn an unverändert geblieben sein bleiben kann. Aber zwischen einem ethischen und einem dann nur ökonomisch denkenden Marx zu unterscheiden, ist sicherlich nicht korrekt. Allerdings hat Marx selbst zu einer solchen Interpretation seiner wissenschaftlichen Entwicklung beigetragen, denn er lehnt ein rein moralisches Sollen im Sinne des Befolgens ewiger ethischer Grundsätze und moralischer Normen von Beginn an ab. Dazu gehören auch die Kategorien Gerechtigkeit und Freiheit, wenn sie allein moralisierend, als verdeckte Durchsetzung von Klasseninteressen verwendet werden. Aber andererseits, und das war das entscheidende Gegenargument gegen die Trennung in einen jungen und in einen reifen bzw. in einen ethisch und einen ökonomisch argumentierenden Marx, kann die Kapitalismuskritik im «Kapital» überhaupt nicht verstanden werden, ohne seine ethische, humanistische Grundhaltung, die ihren prägnanten Ausdruck in dem kategorischen Imperativ des jungen Marx gefunden hat: «alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist» (Marx 1844a: 385).

Dies ist in der Tat die Grundlage seiner Kapitalismuskritik, die heute, wie Georg Lohmann meines Erachtens zu Recht betont, «auch positiv mit den Begriffen ‹menschenwürdige Verhältnisse› und ‹Menschenrechte› durchaus expliziert werden könnte» (Lohmann 2013: 67).

In der Formulierung dieses kategorischen Imperativs «alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein verächtliches Wesen ist» und dessen Umsetzung in diese grundsätzliche Kapitalismuskritik, in eine wissenschaftlich begründete Forderung nach Berücksichtigung der Menschen würde, sieht Fuchs die Wahrnehmung der Aufgabe, eine Antwort auf den Ruf. Der jedoch erst voll gehört werden kann, wenn man ihn als solchen anerkennt. Entscheidend ist aber, ob der Mensch über sich, seine unmittelbaren persönlichen Interessen hinaus­wächst und seine Verantwortung seinem Mitmenschen und der Gesellschaft gegenüber wahrnimmt.

So kann es und sollte es auf der Grundlage der humanistischen Werte des Marxismus und der Werte des Christentums zur Zusammenarbeit von MarxistInnen und ChristInnen für die Gestaltung einer besseren Gesellschaftsordnung kommen. Bei einer solchen Zusammenarbeit haben aber beide Seiten Entscheidendes voneinander zu lernen.

In seinen Schriften, Vorlesungen und Seminaren ging es im­mer auch um das Verhältnis von Christentum und Marxismus sowie von Christentum und Existenzialismus. Im unvollendeten dritten Teil seiner Lebens­beschreibung (über die Zeit in Leipzig) heißt es zum Thema «Was hat unsere Kirche vom Marxismus zu lernen?»:

«Mit diesem Aufruf zur Veränderung aber spricht der Marxismus schon in Karl Marx das aus, was vorher schon Christen und die Kirche hätten erklären müssen; dass die uns umringende, bestimmende, beherr­schende Gesellschaftsordnung nicht nur durchsetzt ist von Schuld und Sünde, sondern gegründet ist auf Selbstsucht, Habgier und Machtgier des Menschen, diese als trei­bende Kräfte kennt und durch ihre Herrschaft den Menschen als solchen erstickt, in die Selbstentfremdung treibt.» (Ebd.: 181)

Aber er sagte natürlich auch, was die Marxisten vom Christentum lernen sollten. Er war der festen Überzeugung, dass das Christentum einen essenziellen Beitrag zur Neugestaltung der Gesellschaft leisten kann, ja leisten muss, dass die Gestaltung der neuen Gesellschaft Schaden nimmt, Defizite aufweisen wird, wenn die Marxisten aus Unverständnis gegenüber dem Religiösen oder aus traditioneller Gegnerschaft gegen­über der Kirche einen solchen Beitrag nicht zulassen würden. Im Frühsozialismus der DDR gab es Versuche einer Zurückdrängung christlichen Denkens, aber zugleich wurde auch ein weltanschaulicher Dialog versucht, der schrittweise intensiver wurde.

  1. Woher? Wohin? Wozu?

5.1 Zum Entwicklungsdenken

Aus der Sicht materialistischen und dialektischen Entwicklungsdenkens ist eine prä-deterministische oder teleologische Entwicklungskonzeption abzulehnen. Demnach gibt «es keinen Sinn des Universums» (Fuchs-Kittowski et al. 1972). Es gibt keinen Sinn in der Natur, kein «Natursubjekt», das nach einem vorgegebenen Plan ein bestimmtes Ziel realisiert und «schließlich auch noch den Gang der Geschichte bestimmen soll!» (Eigen 1971). Solche Vorstellungen sind als «animistische Projektion» (Monod 1971), als teleologische Konzeption in Natur und Gesellschaft abzulehnen (Fuchs-Kittowski 1976).

Für Marx und Engels gilt eindeutig das Primat des materiellen Seins und die Bedingtheit des Bewusstseins in seinen verschiedenen Formen durch dieses. Sie schreiben in der «Deutschen Ideologie»: «Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen pp., aber die wirklichen, wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis hin zu seinen weitesten Formationen hinauf. Das Bewusstsein kann nie etwas anderes sein als das Bewusste Sein, und das Sein des Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess» (Marx/Engels 1953: 22).

Im Vorwort zur «Kritik der Politischen Ökonomie» schreibt Karl Marx: Es «stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet, wird sie stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind» (Marx 1859: 9).

Hier wird also in keiner Weise davon gesprochen, dass die Menschen von einem Ruf ergriffen sind, dass die Erfüllung ihrer Aufgabe zum Reich Gottes auf Erden führen würde.

Die zu lösenden Aufgaben ergeben sich aus der wirklichen Entwicklung der Produktivkräfte. Durch die inneren Widersprüche der Gesellschaft, die es zu bewältigen gilt, wird die gesellschaftliche Entwicklung vorangetrieben. Diese materialistische Weltanschauung von Marx und Engels widerspricht den weltanschaulichen Grundlagen von Emil Fuchs grundsätzlich.

Und doch gibt es die Möglichkeit eines Zusammenwirkens, welches zur Bewältigung der Aufgaben auch notwendig sein kann und daher anzustreben ist.

Woher? Wohin? Wozu? sind die entscheidenden Fragen der Philosophie: Woher wir kommen, wohin wir ge­hen und wozu wir da sind.

Wenn wir uns die Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu stellen, müssen wir die Voraussetzungen wählen, mit denen wir die Beantwortung dieser Fragen beginnen. Hier gibt es nicht viele Optionen. Im Grunde sind es nur zwei: Die Entscheidung zwischen Materi­alismus und Idea­lismus. Die daher auch die Entscheidung in der Grundfrage der Philosophie nach dem Primat von Materie oder Geist genannt wird. Entweder entwickelte sich – aus der Sicht eines materialistischen und dialektischen Entwicklungsdenkens – der menschliche Geist aus zunächst lebloser und dann noch geistloser Materie oder es gibt einen Schöpfer. Die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft führen dahin, dass die erste Sicht der zweiten vorzuziehen ist.

Fuchs würde sagen: Dem widerspreche ich gar nicht. Aber ist dies wirklich alles, was die Menschen über sich wissen wollen?

Die Naturwissenschaften können zur Antwort auf die erste Frage einen Beitrag leisten. Sie können auch zur Antwort auf die zweite Frage einen Teilbeitrag leisten. Denn der Mensch ist ein Teil der Natur, jedoch vorrangig ein soziales und gesellschaftliches We­sen. Die Naturwissenschaft wird aber keinen Beitrag zu der Antwort auf die Frage ge­ben können, wozu wir hier auf dieser Welt sind. Die Naturwissenschaft wird auf die Frage nach dem Zweck unserer Existenz keine Antwort geben können und wird auch nicht behaupten, dies zu können.

Es gibt aber in der Tat immer wieder (insbesondere katholische) Theologen, die ver­suchen, aus Aussagen der Naturwissenschaften oder Lücken in der bisherigen natur­wis­senschaftlichen Erklärung der Naturprozesse in verschiedener Weise auch eine Antwort auf diese Frage zu bekommen oder sogar einen Hinweis auf die Existenz Gottes zu erhalten. Dafür wird heute zum Beispiel auf unsere wachsende Erkenntnis über die Feinabstim­mung des Universums und unserer Erde verwiesen und diese so gedeutet, dass diese Feinabstimmung beweise, dass wir Menschen für diese Erde bestimmt seien.

Fuchs hätte wahrscheinlich diese Interpretation der Feinabstimmung mit Interesse verfolgt, als Hinweis oder gar Beweis für die Existenz Gottes aber nicht bedurft. Sie legt auch nicht nahe, wie oft behauptet wird, dass ein Zweck hinter all dem Geschehen liegt. Er hätte die Beweisführung materialistischer Philosophen ebenfalls respektiert, die verdeutlicht, dass die Feinabstimmung zwar in der Tat ein erstaunliches Phänomen ist. Das zeigt, welche Voraussetzungen gegeben sein mussten, damit unser Universum überhaupt entsteht, dass unser Planet Erde und dar­auf Leben entstehen und sich daraus der Mensch als einziges Lebewesen zur Persön­lichkeit entwickeln konnte. Auch die teleonomischen Zusammenhän ge des Zellstoff­wechsels lassen sich auf der Grundlage kybernetischer Regulations mecha­nismen er­klären.

Wozu wir da sind? Was der Zweck unserer Existenz ist? Diese Frage bewegt in der Tat jeden Menschen. Eine naturwissenschaftliche Analyse von Natur und Mensch wird uns darauf keine Antwort geben. Dass die Naturwissenschaft zur Beantwortung solcher Fragen nicht zuständig, methodisch gar nicht in der Lage ist, wird jeder Zeit zuzugeben sein.

Diese einfache Neutralität zwischen Naturwissenschaft und Religion wird manche Theologen und insbesondere den katholischen Denker nicht befriedigen. Er wird wahr­scheinlich weiterhin versuchen, die Ergebnisse der Naturwissenschaften hinsichtlich der Struktur und Evolution des Kosmos sowie der Entstehung des Menschen zu einer ein­heitlichen Weltsicht zu verbinden, in der sich Naturwissen­schaften und christliche Re­ligion begegnen können.

Fuchs spricht in der «Auslegung des Neuen Testaments» mit der größten Selbstver ständlichkeit von den verschiedenen vollbrachten Wundern, die ganz offensichtlich allen Naturgesetzen widersprechen. Ihm ist dies möglich, weil es sich für ihn um Bilder handelt, mit denen sich die Menschen der damaligen Zeit die Botschaft Jesu vergegenwärtigten und die genau deshalb der Interpretation und der Auslegung für unsere heutige Zeit bedürfen.

Für einen tief religiösen Menschen wie Emil Fuchs, der zugleich die Aussagen der Na­turwissenschaft anerkennt und ablehnt, dass Lücken der heutigen naturwissen­schaftli­chen Erkenntnis den Glauben stützen könnten, muss die Antwort auf Fragen nach unse­rem Wozu entweder von außerhalb unseres Universums oder aus dem Inneren der menschlichen Existenz selbst kommen.

Für die traditionelle Gegnerschaft machte er vornehmlich die Haltung der Kirche verantwortlich, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der notwendigen sozialen Entwicklung nicht gestellt hat. Da ist aber auch die tiefer liegende philosophische Begründung, die die Entscheidung in der Grundfrage der Philosophie zur Grundlage hat – die Frage nach dem Primat von Materie oder Geist. Für den materialistisch und dialektisch denkenden Menschen ist es selbstverständlich, dass es keine überirdischen Kräfte gibt, die in die Naturprozesse oder in die sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse eingreifen. In der Tat müssen der Naturwissenschaftler und der Ingenieur davon ausge­hen, dass Gesetzmäßigkeiten vorliegen, die er erkennen und zum Wohle der Menschen nutzen kann. Aber auch der Sozial- und Gesellschafts­wissenschaftler weiß heute, unter anderem gestützt auf die Gesellschaftsanalyse von Karl Marx, aber auch darüber hinausgehende neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass es in gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen allgemeine wesentliche Zusam­menhänge gibt, die es zu erkennen und zum Wohle der Menschheit zu nutzen gilt. Dar­aus wird von MarxistInnen oftmals abgeleitet, dass die Annahme eines alles bestimmenden Schöpfergottes nur vom Kampf gegen das Unrecht, von den Aufgaben der Neugestal­tung der Gesellschaft ablenken und somit auch nichts Positives zu diesem Ringen um eine bessere Gesellschaft beitragen könne. Dies ist es, dem Fuchs energisch wi­derspricht. Denn von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einem dogmatischen Atheismus, der den Glauben als ein Übel ansieht.

Diese AtheistInnen und MarxistInnen müssen sich von Fuchs fragen lassen, ob sie an der von ihnen vertretenen These der prinzipiellen Überlegenheit des materialistischen Denkens gegenüber idealistischer Philosophie oder Theologie bzw. religiösen Denkens unbeirrt und unbedacht festhalten wollen und einen Alleinvertretungsanspruch ableiten dürfen, vor allem aber, ob es wirklich berechtigt ist anzunehmen, dass Religiosität den Einsatz für sozialen Fortschritt einschränkt.

Die lange Geschichte der christlichen SozialreformerInnen, insbesondere der selbstlose Einsatz vieler ChristInnen im Kampf gegen den Faschismus, für Frieden und sozialen Fort­schritt, wie von den Religiösen Sozialisten und Widerstandskämpfern Pfarrer Erwin Eckert, Pfarrer Harald Poelchau, den Gewerkschaftler Bernhard Göring und Ernst von Harnack und vielen mehr, zeigt eindeutig die Einseitigkeit einer solchen Annahme.

Es gab und gibt die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. Wie Friedrich Engels festgestellte, vollzog sie sich durch die «beiden großen Entdeckungen: die materialistische Geschichtsauffassung und die Enthüllung des Geheimnisses der ka­pitalistischen Produktion vermittels des Mehrwerts» (Engels 1878/1948: 32) durch Karl Marx.

Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten des Materiellen, in die wesentlichen Zusammenhänge gesellschaftlichen Entwicklung sind auch von ChristInnen anzunehmen und die wissenschaftliche Erkenntnis auf allen Gebieten weiter voranzutreiben. Die wissenschaftli­che Erschließung von Gesetzmäßigkeiten der Natur, Gesellschaft und des Denkens kann und sollte auch Grundlage eines wissenschaftlich begründeten Weltbildes werden. Weltanschauung, die uns hinsichtlich unserer Stellung, unseres Zweckes in dieser Welt Orientierung geben soll, ist jedoch nicht identisch mit Wissenschaft. Denn, auch wenn es zum Beispiel mög­lich ist wissenschaftlich nachzuweisen, dass es für Rassismus keinerlei wissenschaftliche Belege gibt, Rassismus also wissenschaftlich unvertretbar ist, muss man als Huma­nistIn doch schon von vornherein gegen jede Form von Rassismus sein, auch wenn eine wissen­schaftlich begründete Widerlegung nicht möglich wäre. Weltanschauung ist nicht iden­tisch mit Wissenschaft, denn alle Formen wirklicher Kunst, humanistische Traditionen und Erfah­rungen aus dem Zusammenleben der Menschen und eben auch religiöses Bewusstsein können hier für die Orientierung der Menschen von entscheidender Bedeutung sein.

Denn es ist insbesondere auch der Gegensatz von Humanismus und Antihumanismus zu beachten. Eine humanistische Philosophie hat sich der Ergebnisse der Wissenschaften zu vergewissern, aber auch die aktive Rolle der Menschen bei der Gestaltung ihres Lebens, ihre moralische Haltung zu stärken. Zur Antwort auf die Grundfrage der Philosophie müssen die Entwicklung der ethischen Kräfte und die Lösung ethischer Probleme hinzukommen. Die jeweilige unterschiedliche Antwort kann und sollte kein Hindernis sein für ein gemeinsames Ringen der HumanistInnen gegen jegliche Form des Antihumanismus.

VertreterInnen verschiedener Weltanschauungen werden die jeweils eigene als der anderen überlegene ansehen. Dies kann eine Voraussetzung für einen fruchtbaren Dialog sein. Wer aber aufgrund seiner Annahme einer prinzipiellen Überlegenheit der materialistischen Philosophie gegenüber idealistischer Philosophie oder Theologie daraus noch ein Alleinvertretungsrecht ableitet, muss sich von Fuchs fragen lassen, ob er nicht damit seinem großen Anliegen, der Gestaltung einer besseren Gesellschaft, letztlich schadet. Fuchs war der festen Überzeugung, dass das Christentum einen wesentli­chen Beitrag zur Gestaltung einer besseren Gesellschaft leisten kann und leisten muss. Dass, wenn die ChristInnen im werdenden Sozialismus aus Unverständnis des Religiösen oder aus traditioneller Gegnerschaft zwischen VertreterInnen der sozialistischen Bewegung und religiöser Gemein schaften an der Mit­wirkung gehindert werden, dies zu gewaltigen Defiziten führen wird. Das Scheitern der frühsozialistischen Experimente – die Implosion des realsozialistischen Lagers – sollte den davon auch innerlich Betroffe­nen zu denken geben.

5.2 Stärkere innere Determination und Verantwortung des Menschen

Der Mensch kann sich Verhalten wie ein Computer, muss es aber nicht. Der Mensch kann sich Verhalten wie ein Tier, muss es aber nicht. Hinzu kommt eine stärkere innere Determination durch den Willen des Menschen. Einen Willen, der geleitet ist durch das Gewissen, durch die Einsicht in das Menschsein, Mensch unter Menschen zu sein. Die­ser Wille schränkt das Möglichkeitsfeld der Handlungsweisen auf der niederen, auto­matisierten oder tierischen Ebene ein und eröffnet damit auf höherer Ebene neue menschliche, verantwortungsvolle Verhaltens- bzw. Handlungs­mög­lichkeiten.

Für den Sohn Klaus Fuchs ist es die Willensentscheidung des sich seines Mensch­seins – «Mensch unter Menschen zu sein» (Fuchs, K. 1965: 65) – bewusst gewordenen Menschen, die ihn seine Verantwor­tung gegenüber dem Mitmenschen und der Gesellschaft wahrnehmen lässt: «Der Begriff der Freiheit erschöpft sich auch nicht in der ‹Einsicht in die Notwendigkeit›, wenn unter Notwendigkeit die äußeren Bedingungen verstanden werden, die der Mensch verstehen muss, um sie entsprechend seinen Wünschen umzuformen. Diese Einsicht kann ihm die Mittel für die Erfüllung seines Strebens, aber nicht das Ziel seines Strebens geben. Nur die Einsicht in die innere Notwendigkeit als Mensch gibt ihm das Ziel, für eine menschenwürdige Gesellschaft zukämpfen.» (Ebd.: 67 f.)

Deutlich davon unterschieden und doch im Ziel verbunden spricht der Vater, Emil Fuchs, von Gottes Schöpfung, vom Ruf Jesu und der Verantwortung des Menschen: «He asks us to be strong upright people who dare to give happiness and life for him and for his kingdom. He created man out of the animal by making him hear this call, and as long as we hear it, so long we live as men, and this strength is in us. When we do not hear this call, we are living in nothing better than narrow selfishness. Great achieveness and discoveries become mere instruments of this selfishness. Hatred and antagonism grow. Man and his civilisation begin to die in all the torments of death. God’s love is in this, that he gave us a great goal» (Fuchs 1949: 21).

Bei Klaus Fuchs lesen wir an anderer Stelle: «Wie bei der Entstehung des Lebens tritt auch bei der Entstehung des Menschen ein neuer, die höhere Bewegungsform zusätz­lich determinierender Faktor auf. Dies ist offenbar eine Gesetzmäßigkeit, da die höhere Entwicklungsstufe eine höhere Organisation der Materie voraussetzt. Dieser Faktor ist der Wille des bewusst gewordenen Menschen, der um so effektiver ist, je fundierter und umfassender seine Kenntnisse der Gesetzmäßigkeiten, die in Natur und Gesellschaft wirken, und je tiefer das Verständnis seiner Mitmenschen und seiner selbst als gesell­schaftliches Wesen ist» (Fuchs, K. 1972: 417)

Hier spricht der Naturwissenschaftler, der keine übernatürlichen Kräfte akzeptie­ren kann, für den der menschliche Geist, das Bewusstsein und Selbstbewusstsein an die höchste Organisation der Materie gebunden ist. Hier entwickelt der Marxist eine Begrün­dung dafür, dass der Mensch aus eigener Kraft, durch sein Denken und Wollen, die so­ziale Entwicklung nach seinem Willen gestalten kann und soll, da ihm dieses Ziel, durch die «Einsicht in die innere Notwendigkeit als Mensch» aufgegeben ist.

Aber gerade darin sieht Emil Fuchs den Versuch einer Antwort auf den Ruf. Der jedoch erst voll gehört werden kann, wenn man ihn als solchen anerkennt. Entscheidend ist aber, ob der Mensch über sich, seine unmittelbaren persönlichen Interessen hinaus­wächst und seine Verantwortung seinen Mitmenschen und der Gesellschaft gegenüber wahrnimmt.

Den Kirchen und GewohnheitschristInnen sagt er, dass ein Gewohnheitschristentum dazu beiträgt, den Ruf nicht wirklich zu hören, sich den Nöten der Zeit nicht zu stellen.

«Again and again the churches have been the last to see the injustices of tradition. Capitalist organisation and technical development brought growing welfare for millions while at the same time it created slavery for other millions. The churches have been very slow. It is hidden from their eyes that tradition is not sufficient to give truth and insight, that once more we must stand before God alone and hear his voice.» (Fuchs 1949: 26)

Er spricht ebenso von einem «Gewohnheitssozialismus», einem Marxismus, der seines wirklich revo­lutionären Kerns beraubt ist, den Geist des ursprünglichen Marxismus zu ersticken droht (Fuchs 2000: 180).

Ein Ziel der «Auslegung des Neuen Testaments» ist es, auf die Gefahr des Gewohnheits christentums zu verweisen und aus der Tradition wieder den Weg zur ursprünglichen Kraftquelle des Christentums zu weisen. Er sieht im Verharren im Dogma, in der Genügsamkeit mit der kirchlichen Tradition die Hauptquelle dafür, dass so viele deutsche ChristInnen dem Faschismus folgten, ihn tatkräftig unter­stützten (Balzer 2011). Wie insbeson­dere der «Fall Erwin Eckert» sowie das tapfere Eintreten von Fuchs gegen den Faschismus zeigen, waren es die Religiösen Sozialisten, die unter den Ersten waren, die die Gefahr des Faschismus in Deutschland erkannten (Eckert/Fuchs 2002).

In dem schon zitierten Vortrag, den Emil Fuchs im Quäkerkollege Pendle Hill 1949 hielt, kurz bevor er praktisch von dort in die sowjetische Besatzungszone – in die sich gerade in Grün­dung befindliche DDR – fährt, spricht er über die Bedeutung dieser Auslegung des Neuen Testa­ments für den Widerstand gegen den Faschismus: «Since a different kind of beginning, the beginning of Hitler, I felt that there was working in Nazism not the spirit of Christ but the spirit of blasphemy. Against this I worked. Now I had assurance and unshakeable peace in Christ’s presence. I began in prison to set down an account of the New Testa­ment, beginning with the Gospel of Mathew and the Sermon on the Mount. I wrote of Christ’s gospel and of seeing in it our own sufferings. There were difficulties and dan­gers, searchings and warnings, but it was possible to send these writings out. And it was possible in later journeys through Germany to bring it to friends, and thus to hold up Christ’s spirit of resolution, faith and hope against the Hitler propaganda and terror» (Fuchs 1949: 8 f.).

Mit der Befreiung vom Faschismus und der Rückkehr von Fuchs aus den österreichi­schen Alpen nach Deutschland im Jahre 1945 wird die Arbeit an der Auslegung des Neuen Testaments folgerichtig beendet. Gleich nach seiner Rückkehr nach Frankfurt am Main beginnt er, die Religiösen Sozialisten wieder zu organisieren. Dazu wird ihm die Adressenliste der Empfänger der verschiedenen Sendungen der Auslegung des Neuen Testaments, sehr nützlich gewesen sein.

  1. Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen in der DDR

6.1 Übersiedelung in die russische Besatzungszone/DDR

Schon bevor sich Emil Fuchs in den USA aufhielt, lief seine Berufung zum Professor für Syste­matische Theologie und Religionssoziologie an die Karl-Marx-Universität in Leipzig. Enttäuscht von der restaurativen Nachkriegsentwicklung in den Westzonen schreibt Fuchs seinen berühmt gewordenen Abschiedsbrief an den Vorsitzenden der Sozialde­mokratie, Kurt Schumacher (Fuchs 1959b: 306–310), und nimmt nach seiner Rückkehr nach Deutschland die Berufung an die Leipziger Universität an.

Er sieht seine neuen Aufgaben als Christ und Sozialist bei der Mitgestaltung der anti­faschis­tischen demokratischen Ordnung und dem werdenden Sozialismus in der sowjetischen Besatzungszone bzw. in der gerade ent­stehenden DDR.

Die Motivation, die Fuchs dazu bestimmte, in die damalige sowjetische Besatzungszone zu gehen, war kein fehlgeleiteter Optimismus. Für ihn, der den Untergang der Weimarer Republik erlebt hatte, blieb immer die Befürchtung, dass auch bei dem Versuch der Neugestaltung nach 1945 ein Scheitern nicht ausgeschlossen war. In seiner ersten in der DDR veröffentlichten Schrift «Marxismus und Christentum» findet sich die Aussage: Ich ging in den Osten, «gerade weil ich wusste, dass das nicht ohne große Fehler und Schwierigkeiten gehen könne, weil ich wusste, dass man bauen musste mit den Menschen, die die alte Welt erzogen hat, wusste ich, dass hier die Kräfte Jesu Christi, jene Kräfte, deren innere Umbildung nötig seien und eine Stätte des Wirkens finden würden» (Fuchs 1952: 17).

Diese Arbeit übernahm er im hohen Alter von 75 Jahren und schuf hier, was als sein «Alterswerk» bekannt wurde. Dazu gehören Schriften zur Ethik und zur Systematischen Theologie – seine beiden Bände zur Ethik «Christliche und marxistische Ethik, Band 1 und 2» (Fuchs 1956; 1959a), seine Streitschriften «Die Christenheit am Scheideweg» (Fuchs 1963) und vor allem sein populäres, in drei Auflagen erschienenes Buch «Marxismus und Christentum» (Fuchs 1952) sowie «Christlicher Glaube, Band 1 und 2» (Fuchs 1958; 1960) sowie seine Lebenserinnerungen «Mein Leben, Band 1 und 2» (Fuchs 1957; 1959b). Insbesondere engagierte sich Fuchs in der Friedensbewegung. Er wurde Gründungsmitglied der Prager Christlichen Friedenskonferenz.

Das Stuttgarter Schuldbekenntnis der evangelischen Kirche mit dem Wort von Martin Niemöller «durch uns ist unendliches Leid über viele Völker gebracht worden» (Evangelische Kirche in Deutschland 1946) hatte viele ChristInnen zum Nachdenken über die Vergangenheit und zur Mitarbeit an der antifa­schistisch-demokratischen und sozialistischen Umgestaltung in der DDR bewogen. Auch wenn die DDR es den ChristInnen sicherlich in vielerlei Hinsicht nicht leicht machte, ihr gegenüber eine Position zu gewinnen, war es für Fuchs letztlich jedoch schwer verständlich, warum immer noch zu wenige ChristInnen, vor allem auch aus dem Bildungsbürgertum, zur Mitarbeit am Aufbau der an­tifaschistisch-demokratischen Ordnung und der Entwicklung einer sozialistischen Ge­sellschaft bereit waren. Es ist bis heute noch eher unverständlich, mit welchem Miss­trauen die Kirchen und die von ihnen beeinflussten ChristInnen denjenigen entgegentra­ten, die sich zur Mitarbeit entschieden hatten.

Die Aufforderung von Emil Fuchs an die Kirche und an die ChristInnen, das Gewohnheitschristentum zu überwin­den, da es nicht genügt, um sich den neuen Herausforderungen auf der Grundlage des Glaubens zu stellen, blieb daher bestehen. Es werden von ihm aber zugleich verstärkt Forderungen an einen lebendigen Marxismus formuliert. Vor allem wird die These vertreten, dass das Christentum einen unverzichtbaren Beitrag zur Neuges­taltung der Gesellschaft zu leisten hat.

In der DDR angekommen, erkennt er an, dass die «Vertreter des dialektischen Materia­lismus der Überzeugung sind, dass die von ihnen geweckte Verantwortung für die Neugestaltung der Gesellschaft in ihrer die Menschen packenden Macht die geistige Zerrüttung überwinden wird, die der Kapitalismus schuf» (Fuchs 1961a: Vorwort). Er fährt fort: «Hier sind wir nun vor die Frage gestellt, ob wir in der gläubigen Sicherheit, dass Jesus Christus dieser neu gestalteten Welt Unentbehrliches zu geben hat, seine Botschaft ausrichten können. Das ist nicht eine Sache der beweisenden Theorie.» (Ebd.)

Das ist für ihn in der Tat keine Sache der beweisenden Theorie, sondern eine der aktiven Tat. Seine Grundthese: «Nur durch Mitarbeit können wir das überwinden, was wir an Mängeln bei der Gestaltung des Sozialismus in der DDR beklagen.» Diesen Weg einer kritischen Solidarität zu gehen, war außerordentlich schwierig.

it den 1950er Jahren ist Fuchs Mitglied des Friedensrates der Karl-Marx-Universität Leipzig. Die Mitarbeit eröffnet ihm zuvor kaum erwartete Wirkungsmöglichkeiten. Unter seiner aktiven Mitwirkung bildeten sich schrittweise vielerorts christliche Arbeitskreise zur Friedensarbeit.

Vor allem kam es unter seiner Mitwirkung und unter der Führung des bekannten tschechischen Theologen Josef L. Hromádka zur Bildung der Prager Christlichen Friedenskonferenz (CFK). Über die Arbeit der CFK berichtet unter anderem Werner Wittenberger (Wittenberger 2012). Er stellt ausführlich dar, wie man sich aus theologischer Sicht mit der Problematik des Kalten Krieges auseinandergesetzt hat: «Ein Ausschuss unter dem Vorsitz von Hromádka wurde gegründet, der ein Papier erarbeitete, das durch die Plenarsitzung angenommen wurde und als Studienmaterial gelten sollte. Dieses Papier dokumentiert den Zug zum politisch Konkreten, ohne sich von Vogels grundsätzlichen Auffassungen in dieser Frage abzusetzen. Das Papier besteht aus 28 Thesen, die a) über das Wesen des Kalten Krieges und b) über die Methoden des Kalten Krieges handeln (Ständige Kommission der Prager Christlichen Friedenskonferenz 1958). Das Wesen des Kalten Krieges ist Krieg. ‹Er schafft die Gefahr, dass alle Möglichkeiten friedlicher Verständigung verbaut werden.› ‹So steht der Kalte Krieg in gewisser Hinsicht unter einem schwereren Gericht als ein schon angefangener Krieg und die Gewalttaten während eines Krieges.› Verwiesen wird auf Mt 5, 21–26. ‹Auch der Kalte Krieg will mit seinen Mitteln den Feind in eine solche Situation zwingen, in der er sich unterwirft. Auch der Kalte Krieg will siegen und unterwerfen. Die Aufgabe des Gedankens der Koexistenz und der Verhandlungen ist schon Kalter Krieg, ein Anfang des Krieges.›» (Ständige Kommission der Prager Christlichen Friedenskonferenz 1958: 205)

1961 schreibt Fuchs: «Je deutlicher der Menschheit nach 1945 ins Bewusstsein drang, dass die Frage Krieg oder Frieden im Zeitalter unvorstellbarer Massenvernichtungsmittel zur Existenzfrage der Menschheit geworden ist, desto deutlicher wurde es gerade für die Christen, dass sich an ihrer Haltung in dieser Frage heute die Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung entscheidet […] dass echter Friedensdienst heute von Christen nur in der Gemeinsamkeit mit allen weltlichen und politischen Friedensbestrebungen getan werden kann» (Fuchs 1961b: 6).

6.2 Speak truth to power – sag es den Mächtigen

Emil Fuchs folgte dem Ruf «So jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Die­ner; und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht» (Mt. 20,26). «Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s, verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden» (Mt. 16,25). Daraus folgt für Fuchs: «Gewaltig steht über den Schicksalen der Menschheit der Ruf zu der Aufgabe, die Ar­beitsorganisation und die gesamte Gesellschaft so zu gestalten, dass das Bewusstsein des Füreinander, des Zusammengehörens wieder bestimmend wird» (Fuchs 1959a: 33). Aus dieser Sicht sah er in der Entwicklung der DDR – in der Bodenreform, in der Umwälzung der Ei­gentumsverhältnisse in der Industrie sowie in der Bildungsreform – eine entscheidende Grundlage zur Erfüllung der Ziele der Kämpfe und Träume seines Lebens.

Der Beitrag, den ChristInnen auf der Grundlage ihres Glaubens dazu leisten können, besteht in der Orientierung der Gesellschaftsgestaltung auf Freiheit und Recht, Humanität und Menschenwürde in Einheit mit sozialen Menschenrechten, aus der aus Liebe zu Gott und Liebe zum Menschen erforderlichen sozialen Verantwortung.

Die Haltung von Emil Fuchs ist in dieser Zeit stark von Grundsätzen der internationalen Quäkergemeinschaft bestimmt, wie sie zum Beispiel in der Schrift des American Friends Service Committee (AFSC) zum Ausdruck gebracht wird: «Sagt es den Mächtigen. Quäker suchen nach einem anderen Weg als den der Gewalt» (Gary 1956). Inspiriert war er sicher auch von den Erfahrungen aus der Zeit seiner Gastvorlesungen am Quäkerkollege Pendle Hill (1948–49).

Speak truth to power ist einer der entscheidenden Grundsätze des Quäkertums, der insbesondere von den englischen und amerikanischen Quäkern in verschiedenen Formen wahrgenommen wird und dem sich Emil Fuchs in besonderer Weise verpflichtet fühlte (Bristol et al. 1955). Die Grundsätze der Quäker, die hier so bedeutsam werden, berührt Fuchs in seiner Auslegung des Neuen Testaments, indem er William Penns19 Beschreibung der Eigenschaften der Quäker heranzieht: «Ihre Geradheit gegenüber den Trägern einer Amtsgewalt, nicht unähnlich den alten Propheten» (Fuchs 1933–35/2012: 234). Fuchs ermöglichte auch den Besuch einer Quäkermission in der DDR (American Friends Service Committee 1964).

Diese Haltung brachte ihn bald nach seinem Eintreffen in der DDR und der Übernahme seines Amtes in Leipzig zu einem Schreiben an den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck. Es ging um die damals zentrale Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands. In diesem Brief schreibt er, dass sich die DDR um Neutralität bemühen und nicht den schon im Westen vorgesehenen Weg der Wiederbewaffnung und Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht gehen solle.

Wilhelm Pieck beantwortet den Brief. Dies ist schon erstaunlich, da Emil Fuchs zu diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit der DDR nicht bekannt ist. Wilhelm Pieck reagiert auf den Brief, weil er die aufgeworfenen Probleme für so gravierend hält, dass er beide Briefe im Museum für Deutsche Geschichte ausstellen lässt. Es war jedoch vorauszusehen, dass Pieck den Vorstellungen von E. Fuchs nicht folgt. Die Alternative zur Politik der Wiederbewaffnung Deutschlands war jedoch ausgesprochen und zur Diskussion gestellt worden.

Eine weitere Begegnung mit der Macht ereignete sich wenig später. Eines Tages kam Emil Fuchs völlig zerknirscht nach Hause. Walter Ulbricht war im Senat der Universität aufgetreten. In der Diskussion hatte Fuchs deutlich gemacht, dass die primitive atheistische Propaganda es ihm sehr schwer mache, christliche BürgerInnen und seine Theologiestu dentInnen für die Mitarbeit am Neubau der Gesellschaft zu gewinnen. Walter Ulbricht habe daraufhin nur gefragt, was er denn wolle, Theologie sei doch gar keine richtige Wissenschaft. Es ist wohl offensichtlich, dass damit für Fuchs eine Welt zusammenbrach. Seine Vorstellung von der Zusammenarbeit von ChristInnen und MarxistInnen wurde mit einem Schlag von höchster Stelle ad absurdum geführt. Der einzige Trost war, dass Ernst Bloch, als er ihn in seinem Wagen nach Hause fuhr, den wohlgemeinten Satz sagte: «Agamemnon ist gefallen, doch Thersites kehrt zurück.»20 Emil Fuchs erklärte mir mit sichtlicher Genugtuung, dass Ernst Bloch damit hatte sagen wollen, dass er zwar abgekanzelt worden sei, dass aber Thersites der Stänkerer sei, auf dessen Überleben im Kampf gegen Troja man eigentlich keinen besonderen Wert legte. Agamemnon, der große Feldherr, aber würde betrauert. Als wir noch mitten in der Diskussion waren, klingelte es, und es kam jemand von der Leipziger Parteileitung und entschuldigte sich im Namen von Walter Ulbricht für die Vorkommnisse im Senat. Dies war zumindest ein Lichtblick für meinen Großvater und wohl sicher eine wesentliche Voraussetzung für das offizielle Gespräch zwischen ihm und Ulbricht am 9. Februar 1961. Das Ereignis zeigt, wie schwer es errungen wurde.

In diesem Gespräch wurden erste Konturen deutlich, wie christliche Existenz im Sozialismus gültige Gestalt annehmen könnte. Es wurde auch international stark beachtet und ermöglichte mit der offiziellen Aussage, dass es zwischen christlichen und sozialistischen Idealen keine Gegensätze gibt, einen wesentlichen Abbau von Spannungen zwischen Staat und Kirche und damit erhebliche Erleichterungen im täglichen Leben für viele ChristInnen in der DDR.

Doch bis dahin war es noch ein langer Weg. Es gab scharfe Einsprüche seitens der Kirchenleitung, so zum Beispiel in einer Kanzelrede von Bischof Krummacher. Am folgenden Tag erhielt Fuchs von seinem alten Kampfgefährten, dem Domprediger Karl Kleinschmidt, ein Telegramm mit den Worten «Lass Dich nicht krumm machen!» Karl Kleinschmidt war vor der Nazizeit der Nachfolger von Fuchs in der Leitung des Bundes der Religiösen Sozialisten in Thüringen geworden und seither waren beide einander besonders eng verbunden.

Dies führte ihn auch dazu, sich aktiv gegen die Repressalien gegenüber der Jungen Ge­meinde zu Beginn der 1950er Jahre zu wenden. Es gelang ihm, unterstützt durch die Quäker, das Recht auf Kriegs­dienstverweigerung (Dienst als Bausoldat) in der DDR (als einzigem Land im Rahmen des Warschauer Paktes) durchzusetzen. Darüber hinaus setzte er sich für sehr viele in Bedrängnis geratene Menschen persönlich ein. Es ging ihm um die Begründung christlicher Existenz im werdenden Sozialismus.

Aus eigenem Erleben möchte ich dem noch hinzufügen, dass Emil Fuchs nicht nur protestierte, sondern sich zum Beispiel persönlich für die Freilassung des inhaftierten Studentenpfarrers Georg-Siegfried Schmutzler (vgl. Schmutzler 1992) einsetzte. Obwohl dieser, für Fuchs sehr schmerzhaft, erfolgreich die Studentengemeinde zum Boykott der Vorlesungen eines Religiösen Sozialisten aufgerufen hatte.

In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre erfolgten in Leipzig ideologische Auseinandersetzungen und schließlich die Zwangsemeritierung des Direktors des Instituts für Philosophie, Ernst Bloch. Hiergegen sprach sich Fuchs öffentlich aus und stand auch weiterhin zu ihm. Wie mir dessen Sohn, Jan-Robert Bloch, mitteilte, war damit Emil Fuchs neben dem bekannten Komponisten, dem Schöpfer der Nationalhymne der DDR, Hanns Eisler, der einzige Prominente der DDR, der nach der Zwangsemeritierung von Ernst Bloch noch öffentlich zu ihm stand.

1968 bezog Fuchs Stellung gegen den Abriss der Leipziger Universitätskirche. Zu dieser Zeit wohnten wir schon zusammen in Berlin, sodass wir den Protestbrief an Walter Ulbricht zusammen diskutierten und abschickten. Hoch angerechnet wird Emil Fuchs weiterhin auch sein engagierter Einsatz für den Erhalt der theologischen Fakultäten an den Universitäten der DDR.

Emil Fuchs wie auch Leonhard Ragaz, Paul Tillich, Helmut Gollwitzer und andere Religiöse Sozialisten haben aus dem Marxismus, insbesondere was das Geschichtsbild betrifft, bleibende, zu bewahrende Einsichten in ihre Theologie übernommen, die auch heute von den Menschen, die ChristInnen und zugleich SozialistInnen sind, akzeptiert werden. Die Beachtung der Motive und Grundsätze dieser ChristInnen kann wiederum den MarxistInnen helfen, Karl Marx zu verstehen, um eine sozialistische Gesellschaft wirklich demokratisch konzipieren zu können.

Das Thema Christentum und Marxismus wird manchen von vornherein aus verschiedenen Gründen unberührt lassen. Entweder, weil er kein Christ oder kein Marxist ist, oder weil er, sollte er sich zum Christentum oder zum Marxismus bekennen, einen Zusammenhang zwischen beiden, gar eine wechselseitige Beeinflussung bei der konkreten Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung, nicht sieht oder wenn ja, für falsch hält. Die Fragestellung wird mancher weder für die historische philosophische noch für die theologische Betrachtung noch für die gegenwärtige kirchliche und politische Praxis für besonders aktuell und bedeutsam halten, schrieb der Frankfurter Theologieprofessor, Quäker und Religiöse Sozialist Heinz Röhr, um dann umso deutlicher herauszuarbeiten, wie wichtig dieses Thema gerade heute ist (Röhr 1996a).21 Natürlich muss vieles kritisch gesehen und neu durchdacht werden. Jede Generation muss sich neuen Herausforderungen stellen und für ihre Bewältigung neue Antworten finden.

Blicken wir auf diese gewaltige geistige Leistung, seinen Schriften als Pfarrer aus Rüsselsheim und Eisenach, die Auslegung und Neuübersetzung des Neuen Testaments und auch auf das Spätwerk von Fuchs und seinem damit gewonnenen Einfluss auf bestimmte Entwicklungen in der DDR, kann auch für heute festgestellt werden, dass diese denkerische Lebensleistung fortwirkt. Die Einstampfung der Arbeit von Paul Tillich «Die Sozialistischen Entscheidung» durch das NS-Regime konnte diese Entscheidung nicht verdrängen. Auch trotz des Untergangs der DDR bleibt die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, nach einer Entwicklung der Gesellschaft zum Besseren und Guten, bei allem Wandel der Erwartung des «Neuen Sein», gerade bei der weiteren Bedrohung durch Entfremdung und Kriege, durch die herrschenden sozialen Ungerechtigkeiten in seiner Radikalität bestehen. Der Religiöse Sozialist und Quäker Heinz Röhr schrieb schon 1974 in seinem Aufsatz «Christentum und Marxismus bei Paul Tillich»: «das Lebenswerk von Emil Fuchs, Erwin Eckert, Günther Dehn, Georg Wünsch, Paul Piechowski (um nur diese zu nennen) wurde verdrängt – und wird nun wiederentdeckt» (Röhr 1996b: 227). Damit bleibt auch der Grundsatz von Fuchs bestehen: «Auf einmal wusste ich, dass die letzte Gewissheit des Glaubens nur in der Aufgabe zu finden sei, die mit der Welterschütterung gegeben ist, in der wir leben» (Fuchs 1929/1969: 143). Dem blieb er immer treu!

Emil Fuchs gewann schrittweise immer größere Anerkennung und Hochachtung auf beiden Seiten. Immer mehr ChristInnen erkannten die Gefahr, die sich aus dem Wettrüsten im Kalten Krieg ergab; der Dialog zwischen MarxistInnen und Chris­tInnen vertiefte und erweiterte sich sichtlich. Das sich daraus später entwickelnde Leitbild einer Kirche im Sozialismus wurde weithin nicht nur als Ortsbestimmung ver­standen. Sondern bedeutete in der Tat, eine Kirche nicht gegen und nicht außerhalb, sondern «im Sozialis­mus».

Fuchs hatte aber immer auch die Möglichkeit des Scheiterns dieses Versuchs gesellschaftlicher Umgestaltung im Auge. Einmal gab es die Alternative eines Atomkrieges, den es mit allen Mitteln zu verhindern galt. Er sah aber auch die Gefahr eines inneren Zerfalls. In seiner Auslegung des Matthäusevangeliums findet sich eine generelle Überlegung dazu:

«Es ist dies das Schicksal der Bewegungen, der politischen Strömungen, der Kirche. Man ist ergriffen von einer großen Aufgabe. Indem man an ihr arbeitet, drängen sich hundert andere Interessen hinzu. Je mehr man ‹siegt›, desto mehr Egoismus mischt sich mit der Gestaltung dessen, was man möchte – und am Ende ist man außerstande, das noch zu sehen, was man sehen müsste, wenn die Aufgabe in den sich inzwischen umgestaltenden Verhältnissen überhaupt noch getan werden soll. Und eines Tages kämpft man um eine fest gewordene Form, Phrase, ein leeres ‹Ideal› und ist ausgeschlossen aus dem Kreise derer, die hören können, was das Schicksal fordert. Je stärker Begeisterung und Glut waren, desto gefährlicher ist die Wirksamkeit des bösen Geistes, wenn er das alles als Maske benutzen kann.» (Fuchs 1933–35/2012: 272 f.)

In der Zeit der Weimarer Republik, aber dann auch in der DDR, äußert er wiederholt seine Angst, dass die politischen Führer der Größe der Aufgabe einer wirklichen Neugestaltung nicht gewachsen sein werden. So wie er sich gegen ein Gewohnheitschristentum ausspricht, spricht er von der Gefahr eines Gewohnheits-Marxismus, «der alles zu ersticken droht». In den Textfragmenten aus dem Entwurf «Mein Leben», Bd. 3, schreibt Emil Fuchs: «Wo der dialektische Materialismus ohne die Glut ist, die die Welt verändern will und muss – um des Menschen willen –, da hört er auf, gestaltende Macht der Wirklichkeit zu sein und beginnt jene Art theoretischer Umgestaltungsphantasie zu werden, die in steigendem gesellschaftlichen Revisionismus sich verliert, weil man die Glut nicht mehr kennt, die keinen Kompromiss mit einer untermenschlichen Welt zulässt» (Fuchs 2000: 180). In diesem Gedanken wird meines Erachtens die Dialektik des sich gegenseitig infrage stellenden und zugleich befruchtenden Verhältnisses von Marxismus und Christentum in der Schau von Fuchs konzeptionell sehr deutlich.

Aufgrund seiner Erfahrungen des Scheiterns der Bemühungen um eine gesellschaftliche Neugestaltung nach den schrecklichen Erfahrungen Erlebnissen des Ersten Weltkrieges und um eine demokratische Entwicklung in Deutschland nach dem von ihm so genau analysierten Untergang der Weimarer Republik, nach dem barbarischen Faschismus und der so schrecklichen Gräuel des Zweiten Weltkrieges sowie der erlebten Restauration in der Bundesrepublik war Emil Fuchs sehr feinfühlig hinsichtlich der Fehlentwicklungen in der DDR, denen er sich auch deshalb so entschieden entgegenstellte. Eine Ursache für das Scheitern sah er immer darin, dass die führenden Frauen und Männer nicht die genügende Kraft und Weitsicht für die Notwendigkeiten der Neugestaltung ihrer ethischen Motive hatten. In seiner Auslegung des Neuen Testaments schreibt Fuchs über seine Erfahrungen aus der Revolution von 1918:

«Als die deutsche Revolution von 1918 weitgehend Brot- und Lohnbewegung geworden war, begann sie sich selbst zu töten. […] Dringender und dringender wurde der Ruf: Die Erwerbslosigkeit kam, die Weltkrise, die neu aufsteigenden Gegensätze der Völker. Doch seine Führer dachten nur an den Augenblick und wichen der Lösung der gewaltigen Frage aus. […] So musste des Leidens Zeit kommen, die Geister zu klären, entschlossen zu machen für den Auftrag, der Gottes Ruf und Gottes Zukunftskraft ist für den einzelnen Menschen und für Bewegungen […]. Von dem Auftrag, den er empfangen hat, lebt ein Mensch als geistige Kraft und lebt eine Bewegung. Wer ihn um des Brotes willen versäumt, der tötet sich als geistiges Wesen, tötet seine eigene Kraft und sein eigenes Gewissen, seinen eigenen Lebensmut. Eine Bewegung, die ihren Auftrag aus solch äußeren Gründen versäumt, wird von der Weltgeschichte beiseite geschoben, umso energischer, je größer ihr Auftrag war: ‹Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht›». (Fuchs 1933–35/2012: 87)

Es ist kein Zufall, sondern liegt in der Logik des Wirkens von Fuchs für Frieden und Völkerverständigung und seinem entschiedenen Ringen um Gewaltlosigkeit, dass Peter F. Zimmermann, der auf einer Veranstaltung des Emil-Fuchs-Instituts für Religionssoziologie und der Karl-Marx-Universität Leipzig anlässlich des 110. Geburtstages von Emil Fuchs einen der Festvorträge hielt (bezeichnenderweise über »Die Friedensarbeit von Emil Fuchs«), zu der Gruppe um den Gewandhausdirektor Kurt Masur gehörte und damit zu den Mitunterzeichner des Appells gegen ein militärisches Eingreifen bei den Leipziger Montagsdemonstrationen – und für einen Dialog über die notwendigen Reformen für den Erhalt der DDR. Als wir uns nach seinem Beitrag über Emil Fuchs trafen, erzählte er mir, dass er als Mitarbeiter der Christlichen Friedenskonferenz, auch da auf den Spuren von Emil Fuchs, an der Weltkonferenz des Weltkirchenrats in Boston teilgenommen und dort Josef Weizenbaum, Mitbegründer und Kritiker der Künstliche Intelligenz Forschung und herausragende Persönlichkeit der amerikanischen Friedensbewegung, kennengelernt habe. Er könne in der eigenen theologischen Arbeit verfolgen, wie sehr die Beiträge von Josef Weizenbaum den Weltkirchenrat zu intensiver und qualifizierter Arbeit zu den Themen Abrüstung und Frieden geführt hätten.

Die Bedeutung kleiner Schritte zur Verständigung und zur Überwindung des Kalten Krieges und zur Verhinderung eines Atomkrieges ist für mich eine auf persönlichen Erfahrungen gegründete Gewissheit geworden. Bei allem Schmerz über den Verlust der mit der Entwicklung der DDR verbundenen Hoffnungen würde Emil Fuchs in der Tatsache, dass durch sein Wirken SchülerInnen von ihm die Kraft fanden, sich öffentlich für eine friedliche, »nicht chinesische« Lösung einzusetzen, die Stärke sehen, die eine wirklich positive nationale und europäische, ja internationale Menschheitsentwicklung ermöglichen kann. Die Alternative hätte die Ideale grundsätzlich in Misskredit gebracht.

Deshalb war es wichtig und hat eine friedliche Revolution erst ermöglicht, dass beide Seiten sich friedfertig verhielten.

Wenn Emil Fuchs es noch erlebt hätte, würde er auch die begeisterten Reaktionen auf den DEFA-Film «Einer trage des anderen Last» zur Antwort auf sein Ringen gerechnet haben. Ich habe mir diesen Film, den der Regisseur L. Warneke im Abspann in Dankbarkeit seinem Lehrer Emil Fuchs widmete, dreimal angesehen. Jedes Mal waren die großen Kinos in Berlin ausverkauft. Das Publikum, meist Jugendliche, applaudierte oftmals stehend, nicht nur bei provokanten, sondern auch bei besinnlichen Aussagen. Es war ein Film, der damals, in der Vorwendezeit, mit dem Thema Christ und Marxist in gemeinsamer Verantwortung genau den Nerv des geistigen Lebens in der DDR traf: Sicher waren unter diesen Jugendlichen dann auch viele, die nur kurze Zeit später riefen: «Wir sind das Volk!»

Die sich unter dem Dach der Kirche entwickelnde Oppositionsbewegung hätte Fuchs, soweit es um berechtigte Anliegen von ChristInnen, um notwendige Reformen in der DDR ging, sicher nach Kräften unterstützt, ganz sicher aber nicht die Restauration der alten Verhältnisse. Mit Entrüstung würde er denje­nigen ChristInnen gegenübertreten, die sich heute rühmen, die DDR vernichtet zu haben, die sich nicht gegen den Abbau sozialer Sicherungen und die Führung von Kriegen wen­den, sondern diese Entwicklun­gen stützen.

Die Frage der Religiösen SozialistInnen nach dem Verhältnis von ChristIn und Gesellschaft führte Fuchs immer wieder zu intensiven Auseinandersetzungen mit dem Zeit­gesche­hen. Er setzte sich mit der «Zersetzung des geistigen Lebens, seiner Zer­rissenheit und Haltlosigkeit und dem politischen Geschehen, das daraus erwachsen ist», auseinander. Das Grundsätzliche davon gilt heute noch.

Mir sind die Grundgedanken von Emil Fuchs und sein unermüdlicher Einsatz für sozialen Fortschritt gerade im Zusammenhang mit dem sich rasant entwickelnden wissenschaftlich-technischen Fortschritt auch als Informatiker sowie als materialistisch und dialektisch denkender Natur- und Technikphilosoph wichtig. Denn heute wird sehr deutlich: Wissenschaftlich-technischer Fortschritt bedarf des sozialen Fortschritts, soll er nicht in Rückschritt umschlagen, sondern zum Wohle der Menschen genutzt werden.

Weizenbaum formulierte den minimalen moralischen Imperativ der Informatiker: «Don’t use computers to do what people ought not do» (Weizenbaum/Mowshowitz 1980: 279). Hier trat mir die ethische Grundhaltung von Fuchs wieder sehr deutlich entgegen. Ich glaube, dass mein starkes Engagement für die soziale Verantwortung des Informatikers, für eine am realen Humanismus orientierte Informationssystem-, Arbeits- und Organisationsgestaltung, davon sehr beeinflusst ist (siehe u. a. meine jüngste Veröffentlichung dazu; Fuchs-Kittowski 2016b).

Wie der langjährige Präsident der Internationalen Föderation für Informationsverarbeitung (IFIP), Heinz Zemanek, schildert, war aufgrund der «Schwierigkeiten der Informatiker mit dem sozialen Aspekt» (Zemanek 1991) die gemeinsame, auf bürgerlich-humanistischen, christlichen und marxistisch-humanistischen Traditionen beruhende Arbeit in der IFIP und in den verschiedenen Ländern nicht von vornherein gegeben, sondern musste und muss immer wieder erkämpft werden.

Selbst der minimale moralische Imperativ Weizenbaums, auf den sich die VertreterInnen verschiedener Religionen, idealistischer oder materialistischer Weltanschauungen in der Internationalen Föderation für Informationsverarbeitung in ihrem Ringen um die sozialen Aspekte der Informatik einigen konnten, war und ist im Zusammenhang mit der Informatisierung der Arbeit, der Gefährdung der Privatsphäre durch die alles durchdringende Computerisierung und insbesondere im Zusammenhang mit der weiteren Hochrüstung sehr schwer einzuhalten (Fuchs-Kittowski 2016a).

Nach dem Zusammenbruch des frühsozialistischen Experimentes, der Auflösung der Sowjetunion und der anderen Länder des sogenannten realen Sozialismus sprachen manche vom «Ende der Geschichte» und meinten damit, dass der Kapitalismus jetzt alternativlos sei. Damit erschien für viele auch der Marxismus völlig gegenstandslos und somit auch die Fragen von Emil Fuchs, was die Kirchen und die ChristInnen vom Marxismus und was die Mar­xistInnen vom Christentum lernen könnten.

Es wurde aber sehr bald deutlich, schon vor der Finanzkrise von 2007, dass der jetzt un­gehemmte globale, digital operierende Kapitalismus die alten Widersprüche, die erst die große soziale Bewegung gegen ihn hervorgebracht hatten, reproduziert und neue hervorbringt, die wiederum neue soziale Bewegungen hervorrufen, in denen sich heute auch ChristInnen und MarxistInnen engagieren. Damit sind frühere Erfahrungen aus dem Dialog zwischen ihnen nicht überholt, die grundsätzlichen Fragen von Fuchs an beide Seiten immer noch aktuell.

Genügt es, angesichts der globalen Krise einzelne Auswüchse wie etwa die Gier einzel­ner Bankiers zu kritisieren? Oder gilt nicht vielmehr die Einsicht von Fuchs, «dass die uns umringende be­stimmende, beherrschende Gesellschaftsordnung nicht nur durchsetzt ist von Schuld und Sünde, sondern gegründet ist auf die Selbstsucht, Habgier und Machtgier des Men­schen, diese als treibende Kräfte kennt und durch ihre Herr­schaft den Menschen als solchen erstickt, in die ‹Selbstentfremdung› treibt» (Fuchs 2000: 181).

Genügt es, angesichts der weiter vorangetriebenen atomaren Rüstung sowie der Auto­matisierung des Schlachtfeldes einzelne Auswüchse des Krieges zu kritisieren? Dem Kriegsroboter Moral beibringen zu wollen, damit man möglichst nicht vor ein Kriegsgericht kommt? Oder gilt nicht vielmehr die Einsicht, dass «Krieg Sünde ist»? (Fuchs-Kittowski, 2015c)

Da die den modernen Waffensystemen zugrunde liegende Software ungenügend ge­testet werden kann, wird ein Krieg aus Zufall immer wahrscheinlicher. Es muss daher abgerüstet werden, forderte die Internationale Föderation für Informationsverarbeitung (IFIP) (vgl. Fuchs-Kittowski 2003). Der Internationale Gerichtshof entschied 1996, dass Kernwaffen keine Waffen im Sinne des Kriegsrechts sind. Ihr Einsatz ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Frieden in Frei­heit ist nicht durch das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen zu erreichen. Wenn angesichts der steigenden Gefahr eines mit Atomwaffen ausgetragenen Kon­flikts dieses Urteil des Internationalen Gerichtshofs von den entscheidenden Atom­mächten nicht anerkannt wird, sollte jedem klar werden, dass entschieden mehr getan werden muss, um die Selbstvernichtung der Menschheit zu verhindern. «Der Krieg ist Sünde!», so Emil Fuchs. Sein Sohn, der Physiker Klaus Fuchs, erklärte wiederholt: «Ein Leben in Frieden ist das erste Menschenrecht» (Fuchs/Günter 1985; Fuchs-Kittowski 2012).

Dieses erste Menschenrecht ist allem anderen überzuordnen. Dies führt zu grundle­genden Erkenntnissen auf christlicher wie auf marxistischer Seite:

  • Jeder Humanismus – gestern, heute und morgen –, aber auch alle soziale Gerechtigkeit, wie auch immer weltanschaulich begründet, philosophisch oder religiös, sind in der Gegenwart wie in Zukunft von der Erhaltung des Friedens abhängig.

  • Wir verspüren heute überall in der Welt den Willen der Menschen zum friedlichen Zusammenleben. Sie haben aus der leidvollen Geschichte gelernt, dass die Möglichkeit eines Lebens in Frieden das erste Menschenrecht ist.

  • Es ist daher sehr erfreulich, dass heute die Kirchen in Deutschland sehr entschieden sagen: «Es gibt keinen gerechten Krieg.»

  • Dies sagen MarxistInnen ganz entschieden!

Es ist im Atomzeitalter wider die Vernunft, Krieg als geeignetes Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten. Angesichts der Gefahr einer völligen Vernichtung der Menschheit gibt es keinen gerechten Krieg und auch keine gerechte Revolution, die den Einsatz solcher Waffen rechtfertigen würden. Soziale Ungerechtigkeiten sollten auf friedlichem Wege überwunden werden (Deutscher Friedensrat 2012: 15; Flach/Fuchs-Kittowski 2008; Hörz 2012). Auch hierin wirkt Emil Fuchs’ intensiver Einsatz in der Friedensbewegung weiter. Sein Ruf aus der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte kann heute erst Recht eine Antwort finden.

  1. Fazit

Wir müssen uns heute ein selbstständiges Urteil darüber bilden können, welchen Beitrag eine Politik der sozialen Gerechtigkeit zur Lösung der gegenwärtigen Weltkrisen leisten kann:

  • zur Umweltkrise, zur Verminderung des durch den Menschen induzierten Klimawandels;

  • zur Entwicklung der sogenannten Dritten Welt;

  • zur Überwindung von Armut und Überbevölkerung;

  • zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise;

  • zur Überwindung extremer sozialer Ungleichheit.

Jede dieser Krisen kann zur Eskalation des uns gegenwärtig so stark berührenden Flüchtlingsdramas beitragen. Welchen Beitrag muss eine Politik der sozialen Gerechtigkeit zur Gewährleistung der Menschenwürde, der individuellen sozialen und internationalen Menschenrechte heute, angesichts dieser Krisen des globalen digitalen Kapitalismus leisten? Es gilt heute, alle materiellen und geistigen Kräfte zu mobilisieren, um diese Krisen zu bewältigen. Dazu gehört auch, den geistigen Widerstand gegen die herrschenden Ungerechtigkeiten, wider ihre Ursachen in den gesellschaftlichen Strukturen, zu festigen und zu organisieren.

Wenn wir heute feststellen müssen, dass der Versuch des Aufbaus des Sozialismus nicht erfolgreich war, dann lag dies insbesondere auch an den Defiziten demokratischer Entwicklung. Diese Defizite behinderten natürlich ebenfalls den offenen Dialog zwischen ChristInnen und MarxistInnen, von VertreterInnen des Staates mit denen der Kirchen und Religionsgemeinschaften, auf gleicher Augenhöhe. Die Räume dieses Dialogs mussten immer wieder neu ausgelotet werden. Gerade hierbei war das Wirken von Emil Fuchs in der DDR von großer Bedeutung – er, der Brückenbauer, ermöglichte es zumindest einem Teil der stärker reflektierenden MarxistInnen bis hin zur Partei- und Staatsführung, das widerständige Potenzial von Religion nicht nur als Widerstandskampf gegen den Faschismus, sondern darüber hinaus auch das emanzipative Potenzial von Religion – gerichtet auf die Gestaltung einer wirklich sozialistischen Gesellschaft – überhaupt zu verstehen.22

«Emil Fuchs war und ist ein Jahrhundertzeuge. Sein Zeugnis trifft alle sozial-historischen Formationen und geistig-kulturellen wie kirchlich-theologischen Prägungen unseres Jahrhunderts, außer einer Formation, der postsozialistischen […]» (Wirth 2000: 157).

In der Tat wirkte Fuchs in den unterschiedlichen sozial-historischen Formationen sowie verschiedenen geistig-kulturellen und kirchlich-theologischen Ausprägungen des vergangenen Jahrhunderts. Er hatte auch noch das Verständnis für die geistigen Grundlagen des 19. Jahrhunderts, welches er auf seine Weise in das 20. Jahrhundert einbrachte und das wir nun rückblickend auch für das 21. Jahrhundert zur Wirkung bringen wollen. Aus dieser Sicht gehört Fuchs zur Geschichte Deutschlands und speziell zur Theologiegeschichte, wie Günter Wirth hervorhebt (ebd.).

Wir sind daher froh, dass wir mit der erstmaligen Veröffentlichung seiner in der Zeit von 1933 bis 1945 erarbeiteten Werke eine offensichtliche Lücke schließen können. Bisher konnten wir seine Auslegung des Matthäusevangeliums (Fuchs1933–35/2012), des Römerbriefes (Fuchs 1936–37/2015a) und auch des Markusevangeliums (Fuchs 1938/2015b) sowie der Offenbarung des Johannes (Fuchs 1938/2016a) herausbringen. Es folgte nun noch seine Auslegung «Die Frohe Botschaft nach Lukas» (Fuchs 1939–41/2016b). Wir sind mit der Herausgabe der Auslegung des Evangeliums durch Emil Fuchs im Kontext von Verfolgung und Widerstand so weit vorangekommen, dass noch bis Ende 2016 die Auslegung der «Offenbarung des Johannes»(Fuchs 1942/2016c) und zu Beginn des Jahres 2017 «Das Evangelium des Johannes» (Fuchs 1939-41/2017a) erscheinen konnte. Von der Auslegung der «Frohen Botschaft nach Lukas» und des «Evangeliums nach Johannes» fanden wir zum Glück wohl die einzigen verbliebenen Exemplare in der Friends Historical Library des Swarthmore College in den USA. Christel Fuchs-Holzer, die Tochter von Emil Fuchs, hatte sie dort hingegeben. Nun können wir 2017 mit den letzten Auslegungen «Die Taten der Apostel» (Fuchs 1943/ 44/ 2017b) und die «Briefe des Paulus an die Thessalonischer, die Galater und die Korinther» (Fuchs 1944-45/ 2017c) die Publikation dieses bisher unbekannten, umfangreichen Werkes von Emil Fuchs abschließen.

Die bisher bestehende Lücke führte manchmal dazu, Fuchs in zwei getrennte Schubfächer zu schieben. Da gab einmal den Religiösen Sozialisten und Kämpfer in der Weimarer Republik und zum anderen den akademischen Lehrer, den hochgeschätzten Schöpfer eines Alterswerkes. Mit der Schließung dieser Lücke wird unseres Erachtens deutlich, dass es bei aller Unterschiedlichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse und konkreten Lebensbe dingungen sowie der zu bewältigenden Herausforderungen letztlich doch immer nur ein Emil Fuchs war, der, dem Ruf folgend, sich mit all seiner Kraft für Frieden und soziale Gerechtigkeit einsetzte.

Unser Symposium will einen Beitrag zu einem konstruktiven Dialog leisten. Ein solcher Dialog zwischen VertreterInnen verschiedener Religionen und Weltanschauungen ist heute, angesichts der Zuspitzung ökonomischer, ethnischer und auch verstärkt religiös verbrämter blutiger Kämpfe unserer Tage von äußerster Dringlichkeit. In einer Zeit tiefer wirtschaftlicher Krisen und neuer Kriege, des aufbrechenden Hasses zwischen einzelnen Menschen und Völkern, auch aufgrund einer sich offensichtlich immer stärker vertiefenden Spaltung zwischen Arm und Reich in der Welt, muss dringend über mehr Gerechtigkeit auf nationaler und auch globaler Ebene gesprochen werden.

Wie die VeranstalterInnen in ihrer Einladung zu diesem Symposium betont haben, stellen sie sich bewusst in die Tradition jenes weltanschaulichen Dialogs, wie er von Emil Fuchs über viele Jahrzehnte geführt wurde. Ein solcher Dialog setzt Toleranz voraus. Eine Toleranz auf der Grundlage gegenseitigen Respekts. Nicht eine Toleranz, die auf Gleichgültigkeit der Sache des anderen beruht und auch keine Toleranz, die sich allein von Mitgefühl leiten lässt. Eine Toleranz, die trotz bestehender Spannungen auf Zusammenarbeit bei gemeinsam zu lösenden gesellschaftspolitischen Fragen gerichtet ist – wie auf eine Politik der Gerechtigkeit, der Gewährleistung der Menschenrechte und der Sicherung des Friedens –, muss von dem Ethos des Respekts getragen sein. Julian Nida-Rümelin schreibt zum Abschluss seines Buches «Humanismus als Leitkultur» sehr zu Recht: «Die Haltung der Toleranz aus Respekt ist die Basis einer human verfassten Gesellschaft» (Nida-Rümelin 2006: 179).

Lebte Emil Fuchs noch, so würde er uns ungebrochen auch heute zurufen, was er 1931 in seinem Aufsatz. «Was bleibt von Thomas Müntzers Bewegung?» schrieb: «Die Erkennt­nis, dass Christen Brüder sein müssen und dass es unmöglich ist, dass der eine reich ist, während der andere Hunger leidet, dass der eine Herr ist, der andere Knecht, die tragen wir weiter und sie wird sich durchsetzen» (Fuchs 1931: 192).

Als Religiöser Sozialist wollte er weitertragen, dass Gott immer neu und lebendig zu uns redet, nicht in alten Dogmen und Lehren, sondern in gegenwärtigem Willen und gegenwärtiger Aufgabe, die wir für unsere Brüder, für die Menschheit zu tun haben. Zwei Jahre vor einer anderen entscheidenden Wende in der deutschen Geschichte und lange vor der mit ungeheuren Opfern erkämpften und erlittenen Beendigung von Faschismus und Krieg und lange vor dem Scheitern des Frühsozialismus, nicht nur auf deutschem Boden, beschwor er – trotz des Scheiterns der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland – den «Geist Thomas Müntzers» und seiner Bundesgenossen, der «erneuert» werden und «eine gestaltende Kraft der Zukunft» (ebd.) sein und bleiben müsse.

Zur Vertiefung dieser Vision, die unter Beachtung von Volkssouveränität und Humanität das Ringen gegensätzlicher Interessen und Kräfte um den richtigen Weg in eine menschliche Zukunft keineswegs ausschließt, soll unsere heutige Tagung einen Beitrag leisten.

Möge die Erinnerung an den «Fall Fuchs» für uns alle die Bedeutung der sozialen Fragen und «die Sünde des Krieges» deutlich hervortreten lassen. Ich hoffe, dass die Erinnerung an das Ringen von Emil Fuchs gegen Faschismus, für Frieden und soziale Gerechtigkeit uns Unterstützung geben wird in der heute leider wieder notwendigen Auseinandersetzung mit Neonazis, im Kampf gegen jegliche Form von Rassismus und Antisemitismus sowie Fremdenfeindlichkeit.

1 Hier wird darauf verwiesen, dass die im Grundgesetz ausdrücklich festgelegte Trennung zwischen den Aufgaben der Polizei und des Militärs auf die bitteren Erfahrungen aus der Weimarer Republik, wie den von Fuchs geschilderten Einsatz der Reichswehr in Eisenach, zurückgeht und daher nicht angetastet werden sollte, wie dies in jüngster Zeit wieder verschiedentlich gefordert wurde.

2 Die Weltkirchenkonferenz für praktisches Christentum fand vom 19. bis 23. August 1925 in Stockholm statt.

3 Es muss ebenfalls vermerkt werden, dass Prof. Erich Fascher mit seinen Schriften u. a. zur Kirchenbewegung der Deutschen Christen, von denen zwei nach dem Krieg gleich von der sowjetischen Militäradministration aus dem Verkehr gezogen wurden, als ein Wegbereiter dieses grotesken «Entjudungsinstituts» angesehen werden muss. Es soll hier nur mit einem Zitat seine faschistische, besonders rassistische Geisteshaltung wiedergeben werden: «Wir treten nunmehr in die Periode des völkischen Weltbildes ein, das nicht nach Fixsternen, nach einem geraden oder krummen Weltenraume fragt, sondern in Rückwendung zur Natur in die Biologie hineinschaut, um die göttlichen Lebens- und Rassengesetze neu zu entdecken und daraus eine Weltanschauung zu gestalten, welche nicht müßiger Spekulation entspringt, sondern aus der Not der Existenz erwachsen die Existenzfrage ganzer Völker beschwören, von deren Auf- und Niedergang die Weltgeschichte abhängt. M. a. W., diese Rasselehre ist keine Spekulation oder eine abstrakte Idee, über deren Wert man verschiedener Ansicht sein kann, sondern sie ist eine Lebensdeutung aus der Praxis für die Praxis, deren mutige Anwendung uns allen vor einem Untergang in ein Rassenchaos bewahren kann. Wenn ein düsterer Prophet wie Oswald Spengler einen Rassenkrieg und den Untergang der weißen Rasse an die Wand malt, so ist ihm in Adolf Hitler ein Mann des Willens entgegengesetzt, der diese Weissagung als prophetische Utopie zu erweisen trachtet, wenigstens für das deutsche Volk. (S. die unter dem Stichwort ‹Rasse› zahlreich angegebenen Stellen in seinem Buch ‹Mein Kampf›.) Welche Folgerungen für uns deutsche Christen aus der Bejahung des Rassegedankens zu ziehen sind, werden wir noch sehen» (Fascher 1935b: 14 f). Der Autor wird auf dem Umschlag dieser (in mehreren Auflagen erschienenen) Broschüre mit seinem Titel «Professor» und bei anderen Publikationen auch noch mit seiner Funktion «Kirchenrat» ausgewiesen, damit sie das entsprechende wissenschaftlich-theologische Gewicht erhält. Man fragt sich, wie ein solcher Propagandist faschistischer Ideologie in der DDR langjährig Dekan der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin werden konnte. Dass er als Dekan seinen Einfluss geltend machte und versuchte, die Ehrenpromotion von Emil Fuchs durch die Theologische Fakultät zu verhindern, ist da nur folgerichtig, hatte er doch z. B. auch eine Schrift gegen den Theologen Paulus Althaus geschrieben, in der er vor allem dessen freundliche Äußerungen gegenüber den Religiösen Sozialisten aufs Korn nahm (Fascher 1935a). Der Kampf der Deutschen Christen gegen den Religiösen Sozialisten ging also selbst in der DDR weiter. Die Vertreter faschistischen Gedankengutes waren immer noch da. Und sind es heute noch. Vielleicht gibt dies auch eine Teilantwort darauf, wie die Verschleierungen bei der Aufdeckung der NSU-Verbrechen möglich wurden und wie der Rechtsextremismus wieder so erstarken konnte. Ebenfalls die sich verstärkende Bereitschaft zur Teilnahme an militärischen Aktionen, auch in der Mitte der Gesellschaft, zeigt uns, dass die Antihumanisten eben niemals wirklich weg waren. Umso schöner ist es noch zu vermerken, dass mitten im Kalten Krieg, mit der Verleihung des Ehrendoktortitels der Humboldt-Universität an Emil Fuchs, der 1914 an ihn verliehene Ehrendoktortitel der Universität Gießen erneuert wurde. Im Zusammenhang mit dem Wirken von Erich Fascher und dem unheimlichen Eisenacher «Entjudungsinstitut» sei noch verwiesen auf den Beitrag von Heinrich Fink «Emil Fuchs: Gerechtigkeit und Frieden – Ein biblisches Gebot oder Wie er zu den Religiösen Sozialisten und Karl Marx kam» (in diesem Buch) und auf die umfangreichen Arbeiten von Oliver Arnhold. Besonders im ersten Band wird Erich Fascher sehr oft erwähnt, denn er war schon seit 1930 der Kirchenbewegung Deutsche Christen beigetreten und bis 1936 deren führender Berater (Arnhold 2010a: 796). Unter den Mitarbeitern des Instituts erscheint er nicht – wahrscheinlich weil er sich 1936 mit den führenden Thüringer Deutschen Christen überworfen hatte (Arnhold 2010a: 253 ff.), einer seiner Wegbereiter war er sicherlich.

4 Siehe auch den Beitrag von Helga E. «Geschlechtergerechtigkeit: Frauenrechte sind Menschenrechte» in diesem Band. S. 111 – 116

5 Diesen Abschnitt über die Hinwendung von Emil Fuchs zur klassischen deutschen Philosophie habe ich meinem Artikel zum Werk Johann Gottlieb Fichtes entnommen (Fuchs-Kittowski 2015a).

6 Der Prozess gegen Emil Fuchs fand im Herbst 1935 in Weimar vor dem thüringischen Volksgerichtshof statt (vgl. Fuchs 1957: 234–236).

7 Verwiesen sei hier insbesondere auf die Rede Erwin Eckerts auf dem Nürnberger Kirchentag (am 28. Juni 1930) und die Thesen von Emil Fuchs in «Der Faschismus – eine Gefahr für das Christentum» (vom 17. August 1930) sowie auf die Erklärung des Landesverbandes Thüringen des Bundes Religiöser Sozialisten «Noch ist Zeit!» (vom 7. Dezember 1930). Die Religiösen Sozialisten waren offensichtlich die wichtigste und geschlossenste antifaschistische Gruppe im deutschen Protestantismus vor 1933 (vgl. Beeskow/Bredendiek 2011: 13).

8 Diese religionssoziologischen Seminare konnte ich als Philosophiestudent an dem von Ernst Bloch geleiteten Institut für Philosophie bequem besuchen, da das Philosophische Institut im früheren Amtsgericht auf demselben Korridor lag wie die Theologische Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig.

9 Kammergericht, Geschäftsnummer 10 0Js. 27/36 III. 28/36. Im Namen des Deutschen Volkes! In der Strafsache gegen Gustav Oswald Kittowski, wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens – Archiv Nr. 9542/3.

10 Ernst von Harnack ist der Sohn des berühmten Theologen Adolf von Harnack, der erfolgreich den Plan für die Gründung der ersten deutschen Einrichtung für Grundlagenforschung, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) im Jahre 1911 entwickelt und mit durchgesetzt hatte.

11 Bernhard Göring war einer der führenden Religiösen Sozialisten und der letzte Vorsitzende des Bundes bis zu dessen Verbot 1933. Er realisierte eine wichtige Verbindung zwischen dem Kreisauer Kreis und den Gewerkschaften. Nach 1945 wurde er stellvertretender Vorsitzender des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB).

12 Der Kampf gegen den Faschismus war das Thema des 5. Kongresses des Bundes der Religiösen Sozialisten im August 1930 in Stuttgart (Kleinschmidt 1997: 20–110). Am 21. März 1932 formulierte der Bund der Religiösen Sozialisten/Landesverband Thüringen in seiner Auseinandersetzung mit dem vordringenden Faschismus auch in der Kirche: «Es geht um das Lebenswerk des Genossen Emil Fuchs in Thüringen. Hitler weiß ganz genau, was für eine Waffe die Kirche in seiner Hand sein kann. Die Parole ‹Gebt Hitler die Macht in der Kirche!› geht unter Thüringer Pfarrern um. Und die Nationalsozialisten werden auch um diese Machtposition mit derselbe Energie und Hemmungslosigkeit kämpfen, mit der sie sonst ihren Machtkampf zu führen gewohnt sind» (ebd.: 78 f.).

13 Dass Emil Fuchs als Religiöser Sozialist und Pazifist zu den wenigen Pfarrern gehörte, die den Nazis in Staat (und Kirche) die Stirn boten, ist kaum noch bekannt. Der evangelische Theologe und Soziologe Günter Brakelmann nennt die Geringschätzung des linken Protestantismus in der Kirchengeschichte einen Skandal.

14Die Ehrungen für Emil Fuchs in der Stadt Rüsselsheim, gelten ihm besonders als Mitbegründer der Volkshochschulbewegung. Es waren insbesondere Dieter Kramer, der über die bürgerliche Volksbildungsarbeit am Beispiel von Rüsselsheim geforscht und publiziert hat, Ernst Erich Metzner, der sich als Sprachwissenschaftler und Historiker für das Wirken von Emil Fuchs in Rüsselsheim interessiert hat sowie der Direktor der Rüsselsheimer Volkshochschule Norbert Hormuth und der Stadtverordnete Achim Weidner, die intensiv daran gearbeitet haben, dass der Name Emil Fuchs in Rüsselsheim nicht vergessen wurde. Zur Erinnerung gehört in Rüsselsheim natürlich auch sein Wirken für die Opelarbeiter.

15 Eine der wenigen aufgefundenen Unterlagen dazu ist der Bericht des Gendarmeriepostens St. Gallenkirch an das Bezirksgendarmeriekommando in Bludens E. Nr. 216/45: Vorgänge in der Umsturzzeit 1945.

16 Am 1.3.1995 erhielt ich vom Obmann Stefan Spannring ein Schreiben, in dem er unsere Verbindung zur Widerstandsgruppe bestätigt. Er bestätigt, dass wir mit ihrer Hilfe in die Schweiz emigrieren wollten, ebenso die in Gortipohl stattgefundenen Haussuchungen, meine Beteiligung an der Fluchthilfe für politisch und rassisch Verfolgte sowie bei der Verhaftung von Nazi-Größen kurz vor dem Einmarsch der Alliierten.

17 Ein Porträt von Emil Fuchs findet sich in Balzer/Weissbecker (2002).

18 Die Religiösen Sozialisten waren die wichtigste und geschlossenste antifaschistische Formation im deutschen Protestantismus vor 1933 (siehe neben den zahlreichen einschlägigen Veröffentlichungen von Friedrich-Martin Balzer, dem besten Kenner der Materie, neuerdings auch Beeskow/Bredendiek 2011: 13).

19 William Penn (1644–1718) war einer der bekanntesten und respektiertesten Sprecher der Quäker. Er wurde zum Begründer von Pennsylvania und der Hauptstadt Philadelphia. Das Gebiet umfasste die heutigen US-Bundesstaaten Pennsylvania und Delaware. William Penn entwickelte außerdem einen Plan zur europäischen Einigung.

20 Thersites ist eine Gestalt der griechischen Mythologie, die nach Homers «Ilias», Zweiter Gesang, Vers 212–277, am Trojanischen Krieg teilnahm. Homer schildert ihn als Lästerer und törichten Schwätzer, so Odysseus (2, Vers 245), der erfolglos gegen Agamemnon auftritt. Nach den vielfältigen Deutungen des Geschehens in der «Ilias» könnte Thersites auch als ein Repräsentant des einfachen Fußvolks, der nicht adligen Kämpfer, angesehen werden, der zur Meuterei gegen die vornehmen Anführer aufgewiegelt hat.

21 Diejenigen, die sich für die heutigen Aktivitäten des Bundes der Religiösen Sozialistinnen und Sozialisten Deutschlands e. V. interessieren, seien auf die Zeitschrift sowie auf die Homepage des Bundes www.brsd.de verwiesen.

22 Hier folge ich einer persönlichen Mitteilung von Cornelia Hildebrandt aus ihrem Erleben.

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