Prof. Ulrich Duchrow : Mit Luther, Marx und Papst Franziskus gegen Kapitalismus

Prof. Ulrich Duchrow

Der Kapitalismus – also die vom Kapitalwachstum angetriebene imperiale Wirtschaft und Lebensweise als Gesamtzivilisation – muss überwunden werden, auch wenn noch nicht klar ist, wie das im Einzelnen geschehen kann und wird. Denn Ausbeutung, Ausgrenzung, soziale Spaltung und ökologische Zerstörung sind im Kapitalismus so untrennbar miteinander verbunden, dass ihn ein schöner, aber begrenzter Planet nicht auf Dauer als Parasit ertragen kann. Von daher ist das klare »Ja« zur Überwindung der geldgetriebenen Zivilisation und damit ein klares »Nein« zur kapitalistischen (Un-)Ordnung die unabdingbare Grundlage von allem Weiteren.

Für die Bewusstwerdung der Bevölkerung auch in den Breiten, die noch zu profitieren meinen, ist es deshalb von außerordentlicher Bedeutung nachzuweisen, dass die Propheten, die Tora, der Buddha, Jesus, Mohammed, die Reformbewegungen im Mittelalter, Luther und andere Reformatoren bis hin zur heutigen Ökumene und Papst Franziskus aus theologischen und philosophischen Gründen Nein zum Geldfetischismus auf dessen verschiedenen Entwicklungsstufen sagen.


Im Jahr des Gedenkens an 500 Jahre Reformation besteht vielleicht eine Chance, über die Wieder-entdeckung des verdrängten Luther, der radikal und systematisch den Frühkapitalismus ablehnte, wieder einen Zugang zu der genannten durchgehenden kritischen Tradition zu gewinnen. Luther sah den Kapitalismus nicht allein als ethische Frage, sondern als die theologische Frage. In seinem Großen Kate-chismus bezeichnet er den Mammon als den „allge-meinsten Abgott auf Erden“. Darauf aufbauend erläutert er am 7. Gebot, „Du sollst nicht stehlen“, dass der Markt ein einziges Raubsystem geworden ist – und die Gesamtgesellschaft ein „weiter Stall von großen Dieben“. Er geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass diese Diebe Mörder sind, weil sie Menschen die Nahrung rauben. Das Gleiche sagen heute Jean Ziegler mit seinem Satz, „Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet“, und Papst Franziskus mit seinem Wort: “Diese Wirtschaft tötet“. Dabei nennt Luther die damaligen länder-übergreifenden Bank- und Handelsgesellschaften wie die Fugger – die heutigen transnationalen Konzerne – die „Erzdiebe“ und fordert die Obrigkeiten auf, diese Form von Wirtschaftsakteuren   zu verbieten. Weil die politischen Institutionen aber bereits korrumpiert sind („Sie haben Kopf und Teil dran“), ruft er die Pfarrer auf, nicht nur hartnäckig dagegen zu predigen, dass aus Geld mehr Geld gemacht wird. Vielmehr sollen sie Kirchenzucht üben, Menschen, die notorisch Zinsen nehmen, von der Kommunion ausschließen und nicht beerdigen. Eine Kirche, die Zinsen nimmt, soll s.E. den Namen Kirche ablegen. Denn Kirche soll den weltlichen Ständen „ein gut Exempel geben“. Kurz: Luther lehnt den Frühkapitalismus als System ab.
Genau deshalb zitiert Karl Marx Martin Luther als „ersten deutschen Nationalökonom“ seitenlang und lobt ihn, dass er das Wesen des Kapitals im Unterschied zu Geld verstanden hat, dass nämlich der Schein erweckt wird, aus Geld könne mehr Geld entstehen, obwohl dies doch nur durch ausgebeutete
Arbeit zustande kommt. Freilich kennt Luther erst die beiden frühen Formen des Kapitals: das Kaufmannskapital und das Wucherkapital, noch nicht das Industriekapital, auf das sich Marx bezieht. Aber den religiösen Charakter des Kapitals hat Luther nach Jesus auf seiner Stufe der ökonomischen Entwicklung erkannt und benannt. Genau in dieser Tradition steht auch Marx‘ Fetischismustheorie.
Es ist deshalb höchste Zeit, dass 150 Jahre nach Erscheinen des Werkes »Das Kapital« deutlich und anerkannt wird, dass Karl Marx derjenige ist, der im Sinn der religiösen Gründer, Denker und Mobilisierer den Mechanismus des Mensch und Natur zerstörenden Geld- und Kapitalwachstums mit ungeheurem Arbeitsaufwand und intellektueller Schärfe am genauesten analysiert und verständlich gemacht hat. „Akkumuliert, akkumuliert, akkumuliert – das ist Moses und die Propheten“, fasst er diesen Wachstumszwang zusammen. Es ist seine Analyse des Waren-, Geld- und Kapitalfetischismus, die ihn zu einem Theologen macht – vielleicht dem Theologen, der – zumindest im 19. Jahrhundert – die biblischen und Luthers Intentionen auf diesem Gebiet am treuesten weitergeführt hat. Karl Marx hat sich klar im Sinn Jesu gegen den Götzen Mammon für die (»geringsten«) Menschen entschieden, wie immer man seine direkten oder indirekten Rückgriffe auf die Bibel und Luther im Einzelnen beurteilen mag. Mit seinem Weiterschreiten von der Religions- zur Fetischismuskritik ist er ein Verbündeter befreiender Theologie und Praxis geworden.
Von daher ist es höchste Zeit, dass TheologInnen und Kirchen aufhören, sich dem vom Fetischismus des Kapitals selbst erzeugten Tabu gegenüber dem Namen Marx zu beugen – wie Papst Franziskus, der seinen Namen zwar nicht nennt, aber seine Analysen voll übernimmt und auf die heutige Situation anwendet. Denn es ist dieses Tabu, das ein wesentlicher Grund dafür ist, dass in Gemeinden, Schulen, Kirchen und Universitäten weiter die Illusionen gepflegt werden, die die Menschen daran hindern, mit offenen Augen die Realität zu sehen und diese zu verändern. Das heißt nicht, Irrtümer, Mängel und Fehlleitungen bei Marx (und natürlich auch bei Luther) oder gar bei seinen Epigonen zu verdecken, zu entschuldigen oder zu wiederholen. Im Gegenteil. Das von Marx begonnene kritische Denken muss in jeder neuen Epoche wieder kontextuell zugespitzt werden. Dabei kann besonders Rosa Luxemburgs Ansatz bei den „Realutopien“ helfen.
In diesem Jahr 2017 kann die – bis heute sowohl im Blick auf Luther wie auf Marx im Mainstream verdrängte – grundsätzliche Kritik des Kaufmanns-, Wucher- und Industriekapitals einen neuen Impuls geben für die Entwicklung einer neuen Wirtschafts- und Lebensweise, die auch in Zukunft Leben in Würde möglich macht.

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