Franz Segbers: Laizismus und das Menschenrecht auf Religionsfreiheit

Das Wort „Laizismus“ entstand erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Frankreich und reagierte auf den Kampf gegen eine machtvolle Kirche. Schon sprachlich verweist das Wort „Laizismus“ auf den langen Konflikt um das Verhältnis von politischer und geistlicher Macht, der die politische Geschichte Europas seit Au-gustinus geprägt hat. Doch die Herausforderungen der Gegenwart sind anderer Art. Sie bestehen darin, dass der religiös neutrale Staat auf die moralische, kulturelle und weltanschauliche Vielfalt eine angemessene Antwort geben muss. Wenn es aber um den Umgang mit religionspluraler Vielfalt geht, gibt es keinen Grund, Religion als Privatsache zu betrachten und gesellschaft-lich auszusondern, denn der Staat muss alle Überzeu-gungen seiner Bürgerinnen und Bürger mit gleicher Achtung behandeln.

Zweck der Laizität ist die gleiche Achtung aller Über-zeugungen der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb ist auch die Trennung von Staat und Kirche und die religi-öse Neutralität des Staates nichts anderes als die Mittel, um diesen Zweck zu erreichen. Doch die Forderung nach der Trennung von Staat und Kirche ist keine nur laizistische Forderung; sie steht bereits in der Weimarer Verfassung und im Grundgesetz. Die Trennung von Staat und Kirche muss die Menschenrechte garantieren: Die Religionsfreiheit.

Doch bei Fragen der Religionsfreiheit gibt es zahlreiche Verwirrungen. Dabei gibt es klar formulierte Vorgaben etwa des Internationalen Pakts über bürgerliche und po-litische Rechte, der vor 50 Jahren vereinbart wurde. Meist beschränkt man sich auf ein doppeltes Recht: Je-der hat das Recht, sich zu einer Religion zu bekennen (positive Religionsfreiheit) und jeder hat das Recht, sich zu keiner Religion zu bekennen (negative Religionsfreiheit). Doch die Laizisten belassen es bei diesem individuellen Menschenrecht. Doch Religions-freiheit ist menschenrechtlich spätestens mit dem Zivilpakt mehr: Religionsfreiheit ist nicht bloß Privatsache, sondern gibt den Religionen auch die Möglichkeit öf-fentlicher Präsens und Wirkens in der Öffentlichkeit. Hier zeigt sich eine folgenreiche Verkürzung in der lai-zistischen Debatte: Sie bezieht sich auf die bürgerlichen Rechte; jene Abwehrrechte gegen eine übermächtige Kirche, die die Freiheit bedrängt; aber sie anerkennt nicht das kollektive Recht, Religion öffentlich bekun-den, vertreten und wirksam werden zu lassen. Die lai-zistische Debatte halbiert die Menschenrechte. Hier zeigt sich: Mit der Trennung von Staat und Kirche will er nicht die Menschenrechte sichern, sondern Religion aus der Öffentlichkeit und der Gesellschaft aussondern.

Religion und Zivilgesellschaft

Das ist für eine Demokratie gefährlich, denn die Religi-onsfreiheit will das Zusammenleben verschiedener reli-giöser und weltanschaulicher Überzeugungen auf der Grundlage einer verbindlichen Anerkennung der Wür-de, Freiheit und Gleichheit aller sicherstellen.

Deshalb muss ein demokratischer Rechtsstaat auch reli-giös neutral sein. Gleichzeitig muss der Staat aber auch die Freiheitsrechte der Bürger ermöglichen und fördern.

Der Staat hat kein Monopol auf Politik, sondern auch die Zivilgesellschaft hat ihr Recht. Eine lebendige De-mokratie braucht die Zivilgesellschaft, zu der auch die Religionsgemeinschaften gehören. Die gern verwendete und so einleuchtend scheinende Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche bedeutet letztlich eine Absage an ein freiheitliches Politikverständnis. Sie führt letztlich nämlich entweder zu einer Entpolitisierung der Gesellschaft oder einer Privatisierung der Religion. Beides aber wäre die Einschränkung politischer Frei-heitsrechte. Die laizistische Forderung argumentiert deshalb ideologisch und eben nicht politisch.

Kooperation auf der Basis der Trennung

Der Laizismus macht es sich zu einfach, wenn er religi-öse Überzeugungen zur Privatsache erklärt. Für Heiner Bielefeldt, Sonderberichterstatter der UNO für Religi-onsfreiheit, geht es bei der Religionsfreiheit um eine „respektvolle Nicht-Identifikation des Staates“ mit einer Religion. Die weltanschauliche Neutralität des Staates, der von der Kirche getrennt ist, verbietet keine Koope-ration zwischen dem Staat und den Religionsgemein-schaften, sondern gebietet sie geradezu. Denn der Staat muss die Betätigung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger fördern. Und zu den Grundrechten gehört auch die Religionsfreiheit. Laizisten, die immer wieder nur die Trennung von Staat und Kirche fordern, argu-mentieren ahnungslos, denn sie sagen nichts darüber, welchem Ziel die Trennung dienen soll. Die Trennung dient der religiösen Neutralität des Staates. Bei aller Schwäche von Vergleichen: Es ist wie bei der Trennung eines Ehepaares. Auch nach der Trennung und trotz Trennung gibt es die Pflicht zu einer Kooperation, wenn gemeinsame Kinder zu versorgen sind. Wenn Laizisten meinen, die Trennung von Staat und Kirche gebietet es, religiöse Überzeugungen strikt zur Privatsache zu ma-chen und deshalb Kreuze aus Schulen zu entfernen, dann verstoßen sie mit ihrer Forderung gegen die Men-schenrechte. Denn nach einer Entscheidung des Europä-ischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom März 2011 verstoßen Kreuze in Klassenzimmern keineswegs gegen die Religionsfreiheit. Und alle 47 Länder des Eu-roparats, auch Deutschland, haben sich aber verpflich-tet, die Urteile des EGMR zu respektieren. Die weltan-schauliche Neutralität des Staates und das Menschen-recht auf negative Religionsfreiheit sind für Laizisten nicht kostenlos zu haben.

Zumutung für alle

Offensichtlich ist Religionsfreiheit ein Menschenrecht mit politischem Störpotenzial für eine säkulare Gesell-schaft, die sich als liberal versteht: Wenn die Kirchen den Beschäftigten Arbeitnehmer- und Gewerkschafts-rechte vorenthält, verletzen sie die Religionsfreiheit; wenn Laizisten Religion aus der Öffentlichkeit heraus-halten wollen, verletzen sie die Religionsfreiheit. Lai-zisten haben kein Recht, vor Religion öffentlich „ver-schont“ bleiben zu können. Die Trennung von Staat und Religion ist auch für Laizisten eine Zumutung, nicht nur für religiöse Menschen.

Für Alexander Gauland von der AFD ist Deutschland „christlich-laizistisch“. So kann er den Islam aus der Öffentlichkeit ausgrenzen. Und auch in Frankreich ist die rechte Front National schärfster Vertreter der Laizi-tät, um ihre Islamfeindschaft verstecken zu können. Dem weltanschaulich-neutralen Staat geht es nichts an, was Bürger und Bürgerinnen glauben. Von den Absich-ten der AFD wird eine Linke sich nur dann klar und er-kennbar abgrenzen, wenn sie menschenrechtlich argu-mentiert, die individuellen und auch die kollektiven Menschenrechte achtet, um ein Höchstmaß an Freiheit und Gleichheit aller garantieren zu können.

Eine laizistisch-säkulare Weltsicht ist keineswegs per se aufgeklärt und gegenüber einer religiösen erhaben. Sie braucht Aufklärung wie die Religion auch. Nur dort be-steht eine Grenze, wo der Versuch gemacht würde, wo der Staat sich selber auf eine säkularistisch-laizistische Weltanschauung zudem im Namen der Aufklärung oder unter dem Deckmantel der negativen Religionsfreiheit verpflichten würde. Wenn Laizisten die weltanschauli-che Neutralität des Staates darin gegeben sehen, wenn Religion aus dem öffentlichen Leben herausgehalten wird, übersehen sie, dass die Religionsfreiheit sich vor-nehmlich an den Staat richtet. Er hat sich weltanschau-lich neutral zu verhalten. Wer die Gewissens-, Mei-nungs- und Vereinigungsfreiheit schätzt, der kann Reli-gion nicht schlicht und einfach auf die Privatsphäre be-grenzen. Die religiöse Neutralität des Staates zielt kei-neswegs auf religionsfreie Räume, sondern steht im Dienst der gleichen Religionsfreiheit aller. Die Neutrali-tät des Staates, der die gleiche ethische, weltanschauli-che und religiöse Freiheit für alle Bürgerinnen und Bür-ger garantieren soll, ist jedenfalls unvereinbar mit der politischen Verallgemeinerung einer laizistisch-republikanischen Verfasstheit einer Gesellschaft.

Gerade im 50. Jahr des Zivilpaktes der UNO ist es für eine menschenrechtlich argumentierende Linke an der Zeit, mit kurzschlüssigen laizistischen Missverständnis-sen aufzuräumen und eine Religionspolitik zu entwer-fen, welche der religiösen Pluralität und Säkularität der Gesellschaft gerecht wird .

Franz Segbers, Dr. theol. alt-katholischer Theologe, Prof. für Sozialethik, Universität Marburg, Sprecher der LAG Linke Christinnen und Christen in Hessen

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