Gabriel Alaoui: Die französische Laizität in der Kritik

Laïcité ist ein grundlegendes Prinzip der französischen Republik. Seit Ende der 1980er Jahre sorgt es aber auch für heftige Debatten aufgrund des öffentlichen Auftritts des Islams in Frankreich und verschiedener Ausdrucksformen des Islam. Infolgedessen wird Laizität von manchen infrage gestellt und neu definiert bzw. entstellt.

Was Laizität ist

Grundlage des rechtlichen Prinzips Laizität ist das Gesetz zur Trennung von Kirchen und Staat vom 9. Dezember 1905. Hauptsächlich legt dieses Gesetz zwei kurz gefasste Grundsätze fest:

  • Die Republik sichert Gewissensfreiheit und die freie Religionsausübung. (Art. 1)
  • Keine Religion wird von der Republik anerkannt, entlohnt oder bezuschusst. Demnach müssen sich die Kirchen als privatrechtliche Vereine organisieren, während bisherige Religionskörperschaften des öffentlichen Rechts abgeschafft wurden (Art. 2)

 Damit ist der Staat völlig religionsneutral, er kümmert sich nicht um Religions und Kirchenfragen, die Privatangelegenheit bleiben müssen. Bemerkenswert ist, dass der Begriff laïcité selbst im Gesetzestexte nicht genannt wird. Er ist eine Wortschöpfung des französischen Pädagogen Ferdinand Buisson (18411932) in Bezug auf die Verweltlichung des Schulunterrichts.

Was Laizität nicht ist

Der Begriff der Laizität ist also von demjenigen der Säkularisierung zu unterscheiden. Letztere ist der gesellschaftliche bzw. politische Bedeutungsverlust von Religionen. Dass die öffentliche Hand sich nicht mehr um Religionsfragen kümmert, ist das Ergebnis gesellschaftlicher Entwicklung. Kirchen haben stark an Einfluss verloren. Laizität stellt eigentlich keine aktive Unterdrückungspolitik der Religionen und des Glaubens dar. Auch ist sie keine weltliche Religion bzw. kein Vernunftskult wie etwa zur Zeit der französischen Revolution.

Ganz im Gegenteil. Das Gesetz von 1905 ist ein ausgewogener Kompromiss zwischen dem laizistischen Teil der französischen Gesellschaft und dem katholischen, also zwischen dem revolutionären Frankreich und dem konservativen.

Interessanterweise bezeichnet der Begriff laïcité im französischsprachigen Belgien eine weltliche Weltanschauung, die jegliche Transzendenz verweigert. Dort ist Laizität dann mehr ein philosophisches Prinzip, während sie in Frankreich ein rein politisches Prinzip ist. Dies trägt vermutlich dazu bei, dass Laizität und Säkularisierung, also staatliche Neutralität und Säkularismus als philosophisches Prinzip, oft verwechselt werden.

Wo sie herkommt

Als Ursprung der Laizität wird oft das Bibelwort „Reddite quae sunt Caesaris Caesari et quae sunt Dei Deo“ („Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“) genannt. Das stimmt nur teilweise. Der Satz bildet die Grundlage für die im frühen Christentum übliche Aufteilung zwischen weltlicher und geistlicher Macht. Die erstere kann aber durchaus ihre Legitimität aus einer bestimmten Religion ziehen. Im späteren Römischen Reich wurde das Christentum zur Staatsreligion und somit Legitimitätsquelle für den Kaiser und auch später für den französischen König. Ab dem Spätmittelalter setzte sich der Gallikanismus in Frankreich durch, das heißt eine gewisse Unabhängigkeit der katholischen Kirche Frankreichs gegenüber dem Papst, da der König jegliche weltliche Macht des Papstes ablehnte und der König die Oberhand über die Ernennung der Bischöfe errang. Gewissermaßen wird er also päpstlicher als der Papst.

Die Reformation stellte ein erhebliches Risiko für die Legitimität der königlichen Macht in Frankreich dar. Anders als Deutschland – wo sich das Prinzip „Cuius regio, eius religio“ („wes der Fürst, des der Glaub“) – durchsetzte – wurde die Reformation in Frankreich stark unterdrückt. Der französische König setzte damit weniger seinen katholischen Glauben als seine Herrschaft durch, die sich zwar als von Gottes Gnaden gegeben sah, aber ohne gleichzeigte Unterwerfung unter dem römischen Stuhl.

Diese langwierige Verselbstständigungspolitik der französischen Könige führte dazu, dass das Glauben und die Kirche ihre Verbindung zum König bzw. zum Staat verlor und somit immer mehr zu einer Privatsache wurde. Daraus entwickelte sich dann die moderne Laizität, nach der, im Gegensatz zum Gallikanismus, der Staat sich nicht mehr um Religions und Kirchenfragen kümmert. Dass hoheitliche Befugnisse der Katholischen Kirche entzogen wurden, wurde allerdings nicht im Gesetz von 1905 festgelegt, sondern ergab sich hingegen aus einer schrittweisen Säkularisierungspolitik (Personenstandsrecht in 1792, Schulunterricht in 1882, usw.), die mit der gesellschaftlichen Verweltlichung einherging.

Heutige Debatten

Seit den 1990er Jahren wird die Laizität und das gesellschaftliche bzw. staatliche Verhältnis zur Religion erneut diskutiert. Im Mittelpunkt steht nicht wie früher der zu große Einfluss der Kirche, der kaum mehr zu spüren ist, sondern der Islam und die dazugehörigen Praktiken wie etwa das Kopftuchtragen. Eine abweichende Auslegung des Laizitätsprinzips, die von deren Gegnern „neue Laizität“ genannt wird, gewinnt seitdem an Bedeutung. Dieser Auslegung nach wendet sich die Laizität von ihrer grundsätzlichen liberalen Logik ab und wird zu einem vorschreibenden Prinzip, das darum geht, alle religiöse Differenzierungszeichen bzw. praktiken zu unterbinden. Bei einer weitgehend säkularisierten bzw. dechristianisierten Gesellschaft trifft die „neue Laizität“ insbesondere die Muslime. Ein Beispiel dafür ist das Gesetz zum Verbot der Gesichtsverschleierung, das 2010 verabschiedet wurde.

Wie auch immer man ein solches Verbot begründen will: Der Verweis auf die Laizität ist hier nicht vertretbar. Denn die bedeutet eine Neutralitätspflicht der öffentlichen Hand den Bürgern und Bürgerinnen gegenüber. Die „neue Laizität“ begründet eine Pflicht für die Bürger und Bürgerinnen.

Diese „neue Laizität“ stellt aber auch die Aneignung eines ursprünglich linksrepublikanischen Prinzip durch das konservative bzw. rechtsextreme Lager dar. Der rechtsextreme Front National beruft sich nun sogar auf die Laizität, um antimuslimische Forderungen zu stellen.

Diese Bedeutungsverschiebung des LaizitätsPrinzips hat etwas mit dem langwierigen Säkularisierungsprozess der französischen Gesellschaft zu tun. Früher verteidigte die monarchistischen Konservativen die kirchliche Vorherrschaft gegen die republikanische Linke. Heute vertritt ein Teil der Konservativen die Werte der mehrheitlichen Gesellschaft, welche zwar verweltlicht sind aber eine christliche Erbschaft enthalten, gegen fremde, religiöse und minderheitlichen Praktiken.

Zu diesem Thema schwankt und spaltet sich das linke Lager. Die laizistische Linke hält zwar an der liberalen Laizität fest, sieht aber sehr ungern die Zunahme der Religiosität. Die einst christliche und heute wohl säkularisierte Linke gesteht der freien, wenn auch demonstrativen bzw. ostentativen Religionsausübung mehr Gewicht zu. Hinzu kommt, dass die Betroffenen meist den unteren Volksschichten angehören, also derjenigen Bevölkerungsgruppe, die die Linke vertreten sollte.

Diese Spaltung im linken Lager ist der Grund dafür, dass die Laizität heutzutage teilweise als konservatives, bürgerliches ja sogar ausländerfeindliches Prinzip angesehen wird. Der Linken obliegt es also, die Laizität als offenes, liberales und somit progressives Prinzip zurückzuerobern, ohne deshalb obskurantische und zum großen Teil der muslimischen Tradition widersprechende Praktiken zu tolerieren. Dieser Kampf gegen den Obskurantismus ist aber nicht im Namen der Laizität zu führen, sondern der Menschenrechte.

Gabriel Alaoui, französischer Jurist und Fachübersetzer für Jura, Sozialwissenschaften und Technik, war Mitarbeiter der Linksfraktion im Europäischen Parlament.

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