Martin F. Herndlhofer: Laizismus – gegen wen?

 Die Suche nach dem Kontrapunkt und die Ankunft in Scheinalternativen. Wenn „Laizisten“ und „christliche Linke“ miteinander reden

Was sind die Kontrapunkte, die Widersprüche, die Antagonismen nach heutiger Sicht? Und wenn keine Widersprüche – welcher Art sind die Unterschiede? Wenn wir davon ausgehen, dass wir so etwas wie Sozialismus nach dem Kapitalismus noch immer auf der gemeinsamen Agenda haben?

Die Fragen zu Trennung von Kirche und Staat, die Laizisten in der Linken aufwerfen, sind politisch wichtig. Deshalb sollte man sie auch politisch und nicht sonst wie behandeln. Ich selbst halte sie angesichts der Krisenerscheinungen des Kapitalismus in der Gegenwart für vordergründige Probleme, an denen man sich abarbeiten kann, woran ich aber nicht so großes Interesse habe.

Vor allem dann nicht, wenn sie ohne diesen globalen und europapolitischen konfliktiven Kontext der Gegenwart behandelt werden. Und vor allem auch deshalb nicht, weil ich sehe, dass vermutlich bei den meisten Fragen Offenheit und Lernbereitschaft auf beiden Seiten vorausgesetzt ein Konsens herzustellen wäre betreffend gemeinsamer politischer Forderungen. Und dabei müssten zunächst einmal ganz einfach die real existierenden strukturellen und politischen Bedingungen und die rechtlichen etc. Regelungen in Deutschland registriert werden – auch wenn uns viele davon nicht gefallen.

Hier sollten auch Konsens gesucht und keine Scheinwidersprüche gepflegt werden. Und in Gesprächen mit Laizisten sollte grundsätzlich klar sein, dass die linken christlichen Gesprächspartner keine irgendwie gearteten Repräsentanten von Kirchen oder anderer Glaubensgemeinschaften sind. Ich habe keine Lust, mich dauernd an solchen Vorannahmen abzuarbeiten. Wir sitzen vielmehr ganz einfach da als politisch Linke mit eben einem eigenen, anderen Zugang zu gemeinsamen politischen Positionen und gemeinsamer Praxis. Dass man seinen Marx im Wesentlichen kapiert hat, setze ich voraus.

Was stünde an?

Die Frage Staat und Kirche bzw. Religionsunterricht zum Beispiel sind ja zunächst wichtige, unmittelbare, aber doch vordergründige Probleme. Was also sind die Zugänge laizistischer und christlicher Traditionen zur Kritik der kapitalistischen Wirtschafts und Lebensweise und ihrer Krisenanfälligkeit?

Mich interessiert es, auszutesten, wie viele der sozial und friedenspolitischen Grundstandards aus einer christlichen Tradition sich sinnvollerweise, oft auch notwendig fast nur in diesem politischen linken Kontext in Deutschland und Europa verwirklichen lassen und sich mit den Grundstandards der nichtchristlichen Linken treffen und überschneiden. Und dass sich daraus das Wichtigste ergibt: Eine gemeinsame Praxis der Zusammenarbeit in einem Befreiungsprozess. Manchmal träume ich sogar so vor mich hin, dass unsere Genossinnen und Genossen aus der sich atheistisch nennenden Konfessionszugehörigkeit eine Ahnung durch Hinhören bekommen, warum und wie christliche Traditionsstränge Befreiungsgeschichte enthalten. Dann könnten auch befreiende Narrative aus den jüdischen und den islamischen Gesellschaften hörbarer werden. Und das wäre angesichts der Krisen und Konflikte, vor denen wir stehen und der solidarischen Zusammenarbeit, zu der diese uns zwingen, eine sehr wichtige Einsicht und Erfahrung über den konfessionellen Tellerrand hinaus. In Ländern der Zweidrittelwelt ist meist gar keine andere als diesr kooperative Form möglich. Man braucht sich nur anzuschauen, wie viel und selbstverständlich in vielen Diözesen und Pfarreien in Lateinamerika oder z.B. auf den Philippinen etc. die eigene soziale, politische und ökonomische Ohnmacht und Ausgrenzung und eine Befreiung daraus zentrales Thema und Gegenstand der Arbeit und des kirchlichen Feierns sind. (Und natürlich wie viele kirchliche und vor allem sektenförmige Gemeinschaften einen solchen befreienden Ansatz kapitalträchtig zu paralysieren versuchen). Wir könnten von dort viel lernen. Es herrscht hierzulande eine geradezu lästige und bornierte deutschland und europazentrierte Sichtweise und selbst in Kreisen der Linken manchmal eine geradezu abenteuerliche koloniale Denke.

Und darüber hinaus?

Hinter dieser Frage steckt übrigens eine viel wichtigere, die beide Seiten, Christen oder sonstige Gläubige einer Religion einerseits und sogenannte Atheisten auf der anderen Seite angeht. Die Frage mündet in die Forderung, dass sich sogenannte Atheisten im linken politischen Zusammenhang mit der gleichen Intensität und Seriosität der letzten Grundlagen ihrer Theorie und ihrer Praxis stellen und diese offen rechtfertigen sollten, wie es Christen als grundlegende Aufgabe von ihrem Ansatz her schon zu tun haben. Linke Politik, die sich als atheistisch verstehen will, kommt an der Frage nicht vorbei, was hinter dem alltäglichen politischen Pragmatismus letztlich der Grund ihrer Hoffnung auf eine gelingende, befreiende Praxis in der Geschichte ist – Hoffnung auf einen frei machenden Ausweg.

Ein Dilemma

Was ist jetzt also „Laizismus von links“ – oder ist er, versteckt, gar Teil des Problems? Ist er vielleicht nichts anderes als das altbekannte (und auch neue) bürgerliche Credo des Liberalismus? Es ist bei den Vorstellungen zum Laizismus der hiesigen Linken oft nur sehr schwer ein Ansatz zu erkennen, der als typische, genuin linke Sichtweise gelten könnte.

Der „Scheingegensatz“ oder Widerspruch entpuppt sich etwa dort, wo die Wahrnehmung der Wirklichkeit schief gelaufen ist, Wirklichkeit im Sinne von wirklichen, wirksamen Bedingungen, Strukturen, Akteuren.

Oder wenn wir an die derzeit hochgeschaukelte und am Kochen gehaltene Diskussion in der Flüchtlingsfrage denken und den sich bildenden konservativen bis reaktionären Block bis hinein in die offen rassistische Ecke – aus welchen Ressourcen heraus kann hier dagegen agiert werden? Und es kommt noch schlimmer: Was ist eigentlich passiert, dass festgestellt werden kann, in vielen politischen Knackpunkten, auch in der Laizismusfrage, seien die Linke und die AfD auffallend gleicher Meinung und unterschieden sich von allen anderen Parteien?

Kapitalismus als Religion

Ich habe den Eindruck, manche Linke sind noch immer dabei, „den Feind zu verfehlen“. Wenn schon religionskritisch, dann sollten sie endlich den Kapitalismus in einer gegenwärtigen Ausgestaltung als durchstrukturiertes religionshaftes Monster verstehen mit allen Faktoren, die dazu gehören.

In der Theologie wird Gott definiert als „alles bestimmende Wirklichkeit“. Und unter anderem daraus ergibt sich bei den monotheistischen Religionen diese immer wieder bedrohliche Tendenz mit totalitärem Anspruch. Der Kapitalismus selbst ist heute diese alles bestimmende Realität und hält diesen totalitären Anspruch aufrecht. Er hält Hof mit seinem Glaubensbekenntnis, seinen Hoffnungen, seinen inszenierten Liturgien mit Predigten und Gehirnwäsche, seinen Fetischen, seinen Opfergaben und Opfern, seinen Auserwählten und seinen Verdammten dieser Erde. Und er ist formbestimmend nicht nur in der wirtschaftlichen, sondern immer umfassender in der lebensweltlichen Sphäre. Da ist alles drin.

Wir haben in diesem unserem Land wenige Instanzen, die sich der totalen kapitalistischen Inwertsetzung von Mensch und Natur einschließlich ständiger Gehirnwäsche durch die Kaufs und VerkaufsPrediger wenigstens partiell zu entziehen versuchen und einen Kontrapunkt setzen können bzw. könnten. Jene Kräfte in den Kirchen hierzulande, die sich als Teil einer Lösung, also eines Befreiungsprozesses sehen und sich dazu gemacht haben oder tendenziell machen wollen, die werden auch kein separates, privates Eigenleben führen. Faktisch und praktisch sind sie schon längst Teile in den Organisationen der Friedens und SoliBewegung. Dies sollte in linken Parteien auch stattfinden. Das würde übrigens beiden Seiten gut tun.

Religion als „Ausdruck des wirklichen Elends“

Wir sprechen an dieser Stelle nicht, um Marx zu nehmen, von Religion als „Ausdruck des wirklichen Elends“ – übrigens eine Einschätzung, die gerade ein marxistisch geschulter Mensch nicht ontologisieren sollte, sondern aus seinem historischen Kontext in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus verstehen muss. Und deshalb jetzt auch exakt bei der Religions bzw. Kirchenkritik den historischen Kontext der Gegenwart als Horizont nehmen sollte. Denn es ist nervig, bei Gesprächspartnern in der religions und kirchenkritischen Debatte einen Bewusstseins bzw. Kenntnisstand (und darauf fußend eine Form der antikirchlichen Emotionalität) anzutreffen, der an die Zeit des Bismarckschen Kulturkampfes erinnert. Wer sich über die Kirchen aufregen will, der findet in der Gegenwart genügend Punkte – aber die muss er dann auch wirklich kennen und politisch zu beurteilen imstande sein.

Darüber, wie sich im Detail „das wirkliche Elend“ in der Religion ausdrückt und wie sich das im Lauf der Geschichte recht unterschiedlich manifestiert hat und noch immer manifestiert, wissen wir schon lange und recht gut Bescheid. Und vor allem – man möge mir das verzeihen – sind kritische Linke aus den kirchlichen Zusammenhängen, die das sozusagen „von innen gesehen haben oder sehen“, in der Regel besser in der Lage und können, nahe an den Problemen, qualifizierter Auskunft geben. Was natürlich nicht ausschließt, dass nicht wenige unter ihnen letztlich und insgeheim von ihrem geliebten Laden Kirche doch noch was retten wollen. Aber dafür haben wir ja wieder als kritisches Korrektiv die Laizisten oder besser: die Genossinnen und Genossen ohne religiöses Glaubensbekenntnis. Dialektik halt.

Wir sprechen vielmehr, weiter mit Marx, von Religion zugleich als „Protestation gegen das wirkliche Elend“. Und das ist der gemeinsame Platz, wo wir uns treffen müssen.

Deshalb interessiert, wie weit aus diesen sozial und friedenspolitischen, auch existentiellen Grundeinsichten der christlichen Tradition heraus sich, zusammen mit der politökonomischen Analyse und Interpretation aus der marxistischen Tradition der Linken, eine plausible und auch für Nichtchristen nachvollziehbare Position und Strategie entwickeln lässt bzw. – und vor allem bereits entwickelt worden ist. Das wären u.a. die Voraussetzungen dafür, in Deutschland und international zwischen Genossinnen und Genossen aus den beiden Traditionssträngen strategische Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Ich finde, da ist rein praktisch bereits mehr vorhanden, als viele behauptete Scheingegensätze vermuten lassen.

Martin F. Herndlhofer, katholischer Theologe, langjähriger Mitarbeiter der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, Mitglied im Sprecherkreis der LAG Linke Christinnen und Christen in Hessen

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