Viola Schubert-Lehnardt: Rezension von Religion und Weltanschauung im Recht

Thomas Heinrichs: Religion und Weltanschauung im Recht. Problemfälle am Ende der Kirchendominanz.

Vom Kulturwissenschaftler Horst Groschopp wird im Alibri Verlag die Reihe „Pro Humanismus“ herausgegeben, deren zweiter Band nun vorliegt. Neben einem Vorwort des Herausgebers und einem des Autors enthält der Band acht Aufsätze zu so brisanten Fragen zu der deutschen und europäischen Politik wie Integration des Islam, Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen und Religions- bzw. Ethikunterricht an Schulen. Der Philosoph und Jurist Thomas Heinrichs erläutert sowohl die geltenden Gesetze in Deutschland sowie deren historische Entwicklung, als auch europarechtliche Grundlagen – die teilweise im deutschen Recht noch ungenügend berücksichtigt sind. Dies wird an jeweils konkreten Gerichtsurteilen auch für den Laien anschaulich erläutert. Ergänzt wird der Band durch „rechtspolitische Grundvorstellungen und Kernforderungen der säkularen Verbände“ und drei Interviews zum „Diskriminierungsrisiko Weltanschauung“. Dabei liegt der Akzent auf dem gegenwärtigen Umgang in Deutschland mit Konfessionsfreien, da hier dringender Reformbedarf in Deutschland besteht (s. auch die Studie von Arik Platzek „Gläserne Wände“). „Die säkularen Verbände haben … noch nicht einmal die gleiche Stellung und die gleichen Privilegien wie die kleinen Religionsgemeinschaften, die sie an Mitgliederzahl übertreffen“ (S. 200). Ohnehin, so wird mehrfach argumentiert, können in einer Demokratie nicht Mitgliederzahlen über Vorrechte und Sonderregelungen entscheiden. Weitere begründen soziale Veränderungen der modernen Gesellschaft notwendige Veränderungen.

Hilfreich für das Verständnis der zitierten Gesetze und Gerichtsentscheidungen ist die immer zuerst erfolgte Erläuterung auch von scheinbar allseits bekannten Begriffen im juristischen Kontext, bzw. die klare Unterscheidung von teilweise analog gebrauchten Termini. Ausgangspunkt ist die Definition von Weltanschauung und die diesbezügliche Einordnung des Begriffs Humanismus. Häufig wird dabei ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Humanismus eine Weltanschauung sei – der Philosoph Nida Rümelin hatte genau dies in seinem Einleitungsreferat auf dem 1. Humanistentag 2017 in Nürnberg in Frage gestellt – und auch Groschopp und Heinrich betonen die Notwendigkeit weiterer Klarstellungen bzw. Forschungen dazu. Heinrichs möchte insbesondere eine Öffnung in Richtung Kultur erreichen und schreibt deshalb: „Die Funktion einer Weltanschauung ist es, mit dem kulturellen Wissen über die Welt zusammenstimmende Lebensbilder und Handlungsregeln zu geben. Die Entwicklung dieses Konzepts von Weltanschauung hängt eng mit der Säkularisierung zusammen. Philosophische Weltanschauungen treten an die Stelle religiöser Weltbilder, die im 19. Jahrhundert mit dem neuen natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Wissen über die Welt nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Sie versuchen anstelle der Religionen neue Orientierungen und Sinnstrukturen zu geben.“ (S. 20). Dem Begriff Weltanschauung wird auf Grund seiner zentralen Bedeutung ein eigenes Kapitel gewidmet. Vorangestellt sind Überlegungen dazu, „welche Einflussmöglichkeiten … man den Religionen/Weltanschauungen auf die Politik … einräumen soll bzw. ob „die Politik Religion/Weltanschauung fördern (darf)“ (S. 25ff).

Die praktische Relevanz zeigt sich für die/den bisher noch nicht mit dieser Thematik vertrauten LeserIn sofort in den Abschnitten zum Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen bzw. zum Ethik/Lebenskunde/Religionsunterricht. Gerade die „nicht abgeschlossene Säkularisierung“ im Arbeitsrecht ist für viele Menschen gravierend – immerhin sind die beiden christlichen Großkirchen Deutschlands der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands (vor allem durch ihre Einrichtungen des sozialen Dienstes bzw. im Gesundheitswesen). Ausführlich mit den hier existierenden Privilegien hat sich Corinna Gekeler in ihrem Buch „Loyal dienen. Diskriminierendes Arbeitsrecht bei Caritas, Diakonie und Co.“ beschäftigt (gleichfalls Alibri Verlag 2014).

Heinrichs geht bei der Darstellung hier wie auch bei den anderen Themen sowohl auf die Benachteiligung von Konfessionsfreien als auch von Angehörigen anderer Religionen ein. Dabei wirft er außerdem (dies sehe ich als einen großen Vorteil des Buches) bisher in den Debatten wenig beachtete Fragen auf, wie z.B.:

  • Was unterscheidet den Lebenskundeunterricht vom Fach Ethik? Denn wenn „Werte und Normen der Humanisten im Wesentlichen identisch sind mit dem Werte- und Normensystem unseres Staates“ dann sei ein doppelter Unterricht offensichtlich überflüssig (vgl. S. 209)
  • „Was unterscheidet einen weltanschaulichen Verband von einer Partei, außer dass er nicht selbst zur Wahl antritt. Was leistet er, was z.B. Parteien nicht leisten?“ (S. 236)
  • Überlegungen sind auch zu der Forderung nach humanistischen Soldatenberatern notwendig – ist dies mit dem Grundsatz einer friedlichen Verständigung der Völker vereinbar? (S. 209).

Insofern bietet das Buch sowohl einen sehr guten Einstieg in deutsche und europäische Rechtsgrundlagen zum Verhältnis Staat – Kirche – Weltanschauung(sverbände) als auch für notwendige weiter philosophische, juristische und verbandspolitische Überlegungen. Eine Reihe von Reformvorschlägen von Thomas Heinrichs finden sich S. 47-49. Das gemeinsame Kapitel mit Heike Weinbach bietet dazu außerdem Vergleichsmöglichkeiten mit Lösungen anderer europäischer Länder.

Alibri Verlag Aschaffenburg 2017, ISBN 978-3-86569-271-9, 269 Seiten

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