Viola Schubert-Lehnhardt Rezension: Die Gesellschaft der Anderen

Zwei Autorinnen erzählen sich und uns ihre Lebensgeschichte(n) und damit verbundenen Diskriminierungserfahrungen – die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan aus migrantischer Sicht, die Kulturjournalistin Jana Hensel aus ostdeutscher. Beide Gruppierungen stehen immer wieder im Zentrum zahlreicher scheinbar identischer, zumindest ähnlicher Debatten – wegen fehlender Teilhabe und mangelnder Repräsentanz in Medien und Gremien. Das Gespräch zwischen Naika Foroutan und Jana Hensel zeigt jedoch sehr schnell, dass es trotz annäherungsweise vorhandenen Gemeinsamkeiten auch zahlreiche Divergenzen und vor allem unterschiedliche Sichtweisen beider Autorinnen zu den jeweiligen Ursachen der von ihnen gemachten Erfahrungen gibt. Insofern ist das Buch ein Streitgespräch über das Thema Dominanz- und Randgruppen in Deutschland. Jana Hensel schätzt dazu ein, dass im Wahljahr 2021 „bisher keine Partei ein Programm gegen jene gesellschaftlichen Ungleichheiten vorgelegt hat, die unsere Gruppen betreffen“ (S. 324).

Naika Foroutan verweist darauf, dass schon unklar sei, wer eigentlich die Mehrheitsgesellschaft ist – „Migranten und Ostdeutsche würden zusammen schon 50% machen (vgl. S. 16). Insofern einigen sich beide darauf, dass mit Mehrheitsgesellschaft vor allem jene gemeint sind, „die in der Lage sind, Normen zu setzen“ (ebd.). Sie streiten darüber, ob sich die Westdeutschen ihrer Vorurteilskultur gegen beide Gruppierungen bewusst sind. Einig sind sie sich wieder darüber, dass „diese Vorurteilskultur … seit Jahren dazu (dient), Privilegien und Besitzstände zu legitimieren und zu sichern“ (S. 34). Unterschiede zwischen beiden hier betrachteten Gruppen bestünden u.a. darin, dass Migranten schon durch ihr Aussehen erkennbar seien und daher häufiger Rassismus erfahren, daher allerdings auch ihr Klagen über Ungleichheit von der westdeutschen Gesellschaft eher wahrgenommen würde (nur 18,6% der Westdeutschen wären bereit, die Ungleichbehandlung der Ostdeutschen anzuerkennen, 52,3% nehmen dies dagegen bei Muslimen deutlich war (S. 134).

Jana Hensel erläutert die Ungleichbehandlung sehr prägnant am Beispiel von Kultur und Kunst (so bearbeiten vor allem westdeutsche AutorInnen und RegisseurInnen die ostdeutsche Geschichte).

Im Text beziehen beide Autorinnen zahlreiche andere Studien und Publikationen zum Thema „Ostdeutsche sind auch Migranten“ (so der Titel eines taz-Gespräches in ihre Überlegungen mit ein, so dass das Buch einen guten Überblick zur generellen Debatte gibt. Zu kurz belichtet ist da m.E. die Sichtweise von ostdeutschen MigrantInnen, d.h. die doppelte Diskriminierung. Diese Debatte wird sicher noch länger geführt werden – einbezogen sollte dabei in die weiteren Überlegungen auch die doppelte Diskriminierungserfahrung ostdeutscher MigrantInnen.

Naika Foroutan Jana Hensel Die Gesellschaft der Anderen Aufbau Verlag Berlin 2020 ISBN 978-3-351-03811-3, 356 S.

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