„Q“ – szenische Lesung nach dem Roman von ‚Luther Blissett‘

1517 – 1555: Fast vierzig Jahre ist er, der so oft seinen Namen zu wechseln gezwungen ist, dabei. Keine fromme oder unfromme Ketzerei lässt er aus. Keinen Aufstand gegen die klerikale und fürstliche Macht verpasst er. Als Vertrauter Thomas Müntzers wird dessen Credo – „alles gehört allen“ – auch zu seinem. Die Niederlage im Bauernkrieg (1525) lässt ihn als einen der wenigen Überlebenden zurück. Bei den Wiedertäufern trägt er die Verantwortung zur Verteidigung der Stadt Münster, aus der das neue Jerusalem werden soll. Er feiert mit, bei den ausgelassenen Festen der Siege; er wird Zeuge der Verwandlung revolutionärer Ambitionen in religiösen Wahn, beim Umschlag von Befreiung in Terror; er wandert durch ‚das Europa der gescheiterten Aufstände‘, durch verlorene Schlachten und Niederlagen, die Verzweiflung erzeugen und Resignation nahelegen.

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Das Abc des Nachbarn Andres

neues-deutschland.de / 23.12.2006 / Rosemarie Schuder

Karlstadt – ein Theologe und aufrührerischer Geist, der zu Weihnachten Anno Domini 1541 starb

Der Feiertag für Christi Geburt wurde zum Todestag für den unbeugsamen Reformator Andreas Bodenstein alias Karlstadt. Am 24. Dezember 1541 endete sein Lebensweg in Basel. Er hatte als Professor der Theologie an der Universität in Wittenberg gelehrt, einer seiner Studenten war Martin Luther, den er 1512 zum Doktor der Theologie promovierte. Nur dreizehn Jahre später verwies ihn der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, als gefährlichen »aufrührerischen Geist« aus seinem Land. Sein ehemaliger Schüler Luther gab den Ratschlag, ihm »ewigliches Schweigen« zu gebieten. Nach Jahren der Flucht fand Karlstadt Aufnahme an der Basler Universität und der Kirche St. Peter. Hier konnte er wieder seine Gedanken verkünden, die weit über Glaubensfragen hinaus die brennenden sozialen Probleme der Zeit aufgriffen.

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„Die Reformation radikalisieren – provoziert von Bibel und Krise“

Vortrag in der Methodistischen Universität von São Paulo, 27. September 2016

von Ulrich Duchrow

Es ist mir eine große Freude und Ehre, an der Methodistischen Universität von São Paulo einen Vortrag über die Radikalisierung der Reformation halten zu dürfen. Denn ich verstehe die Entstehung der methodistischen Kirche bereits als eine Radikalisierung der Reformation. Radix heißt die Wurzel und meint in diesem Zusammenhang die Schriften des Ersten und Zweiten Testaments. Radikalisierung meint also hier: die Prüfung
der Tradition an der Schrift im ursprünglichen und jeweils gegenwärtigen Kontext. So prüfte John Wesley in Oxford Theologie und Praxis der Anglikanischen Kirche, die in Dogma und Struktur an Lebendigkeit verloren hatte. Er bildete kleine Gruppen von bibelzentrierten Christen, um die Inspiration des Heiligen Geistes aus den Worten der Schrift in deren ganzem Leben wirksam werden zu lassen. Dabei knüpfte er direkt an Martin Luther an, wie dieser das Evangelium wieder entdeckt und in den Mittelpunkt des
Lebens der einzelnen Personen, der Kirche und der Gesellschaft gestellt hatte.1

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