von Holger Politt
Mit dem Antisemitismus setzte sich Rosa Luxemburg öffentlich nur ungerne auseinander. Die Haltung in dieser Frage hatte verschiedene Gründe, wobei wohl schließlich entscheidend war, dass sie öffentliche Äußerungen solchen falschen Bewusstseins für eine Frage hielt, die innerhalb der europäischen Arbeiterbewegung vollständig überwunden sei. Als gutes Beispiel mag ihre Einschätzung der Revolution von 1905/06 im Russischen Reich gelten, weil sie mit Stolz darauf verwiesen hatte, dass die Zarenregierung bei regelmäßigen Versuchen, die Reihen der kämpfenden Industriearbeiter mit dem Gift des Judenhasses zu infizieren, nicht durchgekommen sei.[1] „Unser Proletariat“, so schrieb sie in einem polnischen Beitrag aus dieser Zeit, „muss als eine Klasse, die […] zur Mission der Aufhebung des ganzen bestehenden Systems berufen ist, […] die Unterdrückung der Nationalitäten als eine brennende Wunde, als Schande empfinden, und empfindet es auch so, wobei tatsächlich dieses Unrecht nur ein Tropfen im Meer des ganzen gesellschaftlichen Elends, der politischen Benachteiligung, der geistigen Entrechtung ist, die zum Schicksal des kapitalistischen Lohnarbeiters in der heutigen Gesellschaft geworden sind.“[2]