Pressemitteilung vom 10. Februar 2020
Unter dem Titel „Der Kurswechsel wird zum Kraftakt“ veröffentlichte die FAZ am 17. Dezember 2019 einen Artikel, der einen massiven Angriff auf die bisherige Arbeit der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin darstellt und der ehemaligen Leiterin der Akademieprogramme, Dr. Yasemin Shooman, in diffamierender Weise unterstellt, sie habe in den letzten Jahren den Umbau des Museums zu einem „Forum für Israel-Kritiker*innen und BDS-Sympathisant*innen mit Querverbindungen zum politischen Islam“
betrieben. Dies ist nachweislich nicht der Fall. Das Jüdische Museum Berlin und seine Akademieprogramme kooperieren selbstverständlich mit Partner*innen aus Israel, was für BDS Unterstützer*innen ausgeschlossen wäre. Abgesehen davon, dass dieser Vorwurf bei genauerem Hinsehen haltlos ist und nur umständlich mit dem Mittel der Kontaktschuld konstruiert werden kann (siehe dazu auch die Replik von Max Czollek im Tagesspiegel vom 26.12.2019) zielt die Kritik im Kern auf die Tatsache, dass ein Jüdisches Museum sich über rein jüdische Themen hinaus auch mit der Diskriminierung von Muslim*innen und anderen Minderheiten beschäftigt, wie es in der W. Michael Blumenthal Akademie in den letzten Jahren der Fall gewesen ist.
Der Autor des Artikels, Thomas Thiel, fordert, die neuberufene Direktorin Hetty Berg müsse nach dem Rücktritt des ehemaligen Direktors Peter Schäfer dieser Entwicklung ein Ende setzen und das Museum „wieder zu einem wirklich jüdischen Ort“
machen. Was aber ist „ein wirklich jüdischer Ort“ und wer hat das Recht, dies zu definieren? Thiel ist gemeinsam mit anderen Kritiker*innen der Meinung, ein Jüdisches Museum müsse sich darauf beschränken, „die Gegenwart und Geschichte des Judentums“
darzustellen, ohne dabei aktuelle Debatten aufzugreifen und vor allem, ohne sich dabei den Erfahrungen anderer Minderheiten zu öffnen und den Austausch mit ihnen zu suchen.
Damit wird jedoch verkannt, dass die Akademie des Jüdischen Museums Berlin von dem damaligen Direktor W. Michael Blumenthal gegründet wurde, um dem Stiftungsgesetz des JMB gerecht zu werden: Nämlich die Wechselbeziehungen zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Kultur in Gegenwart und Vergangenheit in den Blick zu nehmen, sowie einen Ort der Begegnung zu schaffen. Dieser Programmatik folgend hat Yasemin Shooman als Leiterin der Akademieprogramme neben einem vielfältigen Veranstaltungsprogramm auch einen Jüdisch-Muslimischen Gesprächskreis ins Leben gerufen und immer wieder auch die Kooperation mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, wie der Schwarzen Community und der Roma-Community, gesucht. Sie hat damit verschiedenen marginalisierten Gruppen Raum für Austausch und Vernetzung gegeben. Dies entspricht dem vom Gründungsdirektor des Jüdischen Museums Berlin W. Michael Blumenthal ausdrücklich formulierten Auftrag der Akademie, den Yasemin Shooman in ihrem Konzept umgesetzt hat.
Der Jüdisch-Muslimische Gesprächskreis wurde von Yasemin Shooman als Dialogforum ins Leben gerufen und trifft sich seit fünf Jahren regelmäßig an der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin. Sie hat damit einen Ort geschaffen, an dem wir uns kennenlernen und Vertrauen zueinander aufbauen konnten. Bei den Treffen können dadurch auch konfliktreiche und sensible Themen, wie der Nahostkonflikt und der Antisemitismus und die Islamfeindlichkeit/der antimuslimische Rassismus in den jeweiligen Communities thematisiert und offen diskutiert werden. Dabei ging es niemals um die im FAZ-Artikel suggerierte Gleichsetzung unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen wie Antisemitismus und Islamfeindlichkeit/antimuslimischer Rassismus. Dafür war die Mehrdimensionalität, Intersektionalität, aber auch Multidirektionalität jüdischer und muslimischer Erfahrungen und Narrative grundlegend. Ziel der Diskussionen war das gegenseitige Verständnis, Grundlage die von allen geteilte Absicht, gemeinsam in einer Gesellschaft zu leben, in der man ohne Angst verschieden sein kann.
Entstanden ist damit ein deutschlandweit einzigartiger Raum der institutionalisierten jüdisch-muslimischen Begegnung: Ein Raum, der Differenz akzeptiert und Widerspruch aushalten kann. Ein Raum, der Pluralität zulassen kann und nicht die Herausforderung von Mehrstimmigkeit scheut. Ein Raum, der gegenseitige Anerkennung zum Ziel hat. Mittlerweile sind aus dem Gesprächskreis neue Initiativen, Kooperationen und nicht zuletzt Freundschaften erwachsen – es lässt sich also ohne Weiteres sagen, dass er sein Ziel, zur Stärkung der jüdisch-muslimischen Beziehungen in Deutschland beizutragen, erreicht hat.
Anstatt seine Vorwürfe inhaltlich zu belegen, holt der Autor des FAZ-Artikels zu einem Rundumschlag gegen zahlreiche namhafte Wissenschaftler*innen und Berliner Institutionen aus, die, wie Shooman, in den letzten Jahren zum Thema Islamfeindlichkeit/antimuslimischer Rassismus geforscht und publiziert haben und spricht dem gesamten Forschungsfeld die Legitimität ab. Er suggeriert, dass, wer Islamfeindlichkeit/antimuslimischen Rassismus thematisiert und kritisiert, zugleich radikale Strömungen im Islam verharmlose sowie den existierenden Antisemitismus in Ländern des Nahen Osten sowie in muslimischen Communities in Deutschland „ausblende“. Oder, noch weitergehend, „einer Relativierung des Holocaust“
Vorschub leiste.
Einer derart verkürzten und pauschalisierenden Behauptung, die praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse negiert, Initiativen und Forschungsansätze gleichermaßen diskreditiert von einem Journalisten der FAZ, der das Ressort Forschung und Lehre betreut, kann nicht nur mit einem Kopfschütteln begegnet werden. Vielmehr müssen wir deutlich widersprechen. Denn hier wird auf eine gefährliche Weise ein vermeintlicher Gegensatz zwischen zwei gesellschaftlichen Gruppen behauptet, was den Dialog einschränkt und die reale Gefahr der Fragmentierung verstärkt. Dagegen wollen wir uns als Mitglieder des Jüdisch-Muslimischen Gesprächskreises deutlich aussprechen.
Unsere Gesellschaft ist geprägt von Vielfalt. Diese Vielfalt wirft Fragen nach dem Zusammenleben auf, die von der sich abzeichnenden Pluralisierung der Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft bis zu Fragen der Diskriminierung und Teilhabe reichen. Diese Vielfalt ist bedroht, was die Bildung neuer Allianzen für den gemeinsamen Kampf gegen rechte Gewalt und rechte Politiken nötig macht. Denn die Gefährdung durch Rechtsextremismus, die Neue Rechte und Rechtspopulismus trifft Juden*Jüdinnen und Muslim*innen wie auch andere von Rassismus betroffene Gruppen gleichermaßen.
Wir sind überzeugt, dass wir diesen Herausforderungen erfolgreich begegnen können, wenn wir eine Sprache und ein Denken entwickeln, welche diese Vielfalt nicht nur anerkennt, sondern sie als Potential und Ausgangspunkt dieser Gesellschaft versteht. In diesem Zusammenhang sind Begegnungsorte wie die W. Michael Blumenthal Akademie kein Luxus, sondern einer der wenigen Räume, die in einem Klima zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung eine Begegnung auf Augenhöhe und jenseits eingespielter Rollen ermöglichen können.
Angesichts dessen möchten wir als Mitglieder des Jüdisch-Muslimischen Gesprächskreises unsere Anerkennung und Solidarität sowohl für das Museum als auch für Dr. Yasemin Shooman und die von ihr in den vergangenen Jahren geleistete Arbeit ausdrücken.
Prof. Dr. Bekim Agai, Goethe-Universität Frankfurt
Saba-Nur Cheema, Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt
Dr. Max Czollek, Autor, Berlin
Sarah Hartmann, Sozial- und Kulturanthropologin, Berlin
Shemi Shabat, Antidiskriminierungberater und Trainer, Berlin
Hakan Tosuner, Avicenna-Studienwerk, Osnabrück
Für die Mitglieder des Jüdisch-Muslimischen Gesprächskreises
Die Mitglieder des Jüdisch-Muslimischen Gesprächskreises sind Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen, Studienwerkeleiter*innen, Mitarbeiter*innen in Politik und Verwaltung, Journalist*innen uvm. Sie kommen also aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, sind in verschiedenen Städten tätig und vereinen unterschiedliche religiöse und politische Perspektiven und Positionen.